Der Oberpfarrer, auch für den jungen Günther Roos der ent-
scheidende und beeindruckendste kirchliche Repräsentant in
Brühl, blieb weiterhin kritisch und unbeugsam. Obwohl er be-
reits im Oktober 1938 wegen der Verteilung von Flugblättern in
der Kirche seitens der Kölner Gestapo verwarnt worden war,
machte er aus seiner zunehmend NS-kritischen Haltung keinen
Hehl und scheute auch in seinen zumeist von Gestapo-Beamten
oder Denunzianten überwachten Predigten nicht vor deutlichen
Äußerungen zurück. Das sollte ihm 1941 schließlich zum Ver-
hängnis werden, als er am 2. Februar provokativ zum Thema
„Licht zur Erleuchtung der Heiden“ predigte.
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Was er den
Kirchbesuchern mitteilte, brachte aus Gestapo-Sicht das Fass
offenbar endgültig zum Überlaufen: Laut Pfarrchronik erfolgte
am 8. Februar 1941 „ein furchtbarer Schicksalsschlag“, weil
Fetten Brühl verlassen musste, nachdem ihm tags zuvor von der
Kölner Gestapo „wegen seines dauernden staatsabträglichen
Verhaltens“ ein Aufenthaltsverbot für die Rheinprovinz, Westfa-
len und die übrigen westlich des Rheins gelegenen Gebiete er-
teilt worden war, dem er binnen 30 Stunden nachzukommen
hatte. Der Pfarrchronist notierte: „Schon um die Mittagszeit
verbreitete sich die Kunde von der Ausweisung des
Dechanten und rief eine ungeheure Erbitterung un-
ter der Bevölkerung hervor.“
Am 1. August des gleichen Jahres musste auch der
langjährige Bürgermeister Freericks, dem es aus-
weislich der Brühler Pfarrchronik trotz seiner weit-
gehenden Anpassung an das NS-Regime stets gelun-
gen sein soll, „in all den politischen und kirchlichen
Auseinandersetzungen der Gegenwart immer noch
auszugleichen“, sein Amt aufgeben – offiziell aus
„gesundheitlichen Gründen“, tatsächlich aber wohl,
weil er sich mit lokalen NS-Größen überworfen hat-
te. Er wurde durch Peter Bick ersetzt, der seit 1927 in
der Brühler Zweigstelle der AOK tätig und neben
seiner Funktion als Propagandaleiter in der NSDAP-
Kreisleitung seit dem 1. Mai 1934 Bürgermeister in
Wesseling gewesen war. Die katholischen Kreise in
der Stadt waren verunsichert: „Wer wird nun kom-
men, um die Geschicke der Stadt zu lenken? Wird
ein grimmer Feind der Kirche kommen, um im
katholischen Brühl, der Pfarrgemeinde, deren Hirte
ausgewiesen ist, noch mehr Schaden zuzufügen?“
Die Befürchtungen bezüglich des neuen Bürger-
meisters bewahrheiteten sich, wie wiederum der
Pfarrchronik zu entnehmen ist: „Gleichzeitig weht
mit dieser Ernennung ein neuer, schärferer Wind
bei der Stadtverwaltung.“
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So ordnete Bick, nachdem er am
12. September 1941 die in „Hans-Schemm-Schule“ umbenannte
ehemalige Klemens-August-Schule besucht hatte, umgehend
die Entfernung sämtlicher biblischer Bilder aus den Schulen
an.
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Oberpfarrer Heinrich Fetten
(links) im Februar 1934
Die Kleinstadt
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