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Frau. Offenbar war ihm im Reichsausbil-

dungslager in ideologischer Hinsicht ne-

ben einem ausgeprägten Antiklerikalis-

mus ebenso die spezifische NS-Sicht zu

diesem Thema nahegebracht worden. Je-

denfalls schlug der zuvor noch frisch

Verliebte nach seiner Rückkehr hier völlig

neue Töne an. Zwar traf er sich nach wie

vor mit Ruth, doch definierte er ihre Be-

ziehung nun nicht mehr jugendlich-verliebt, sondern ideologisch vorbelastet

mit einem Zitat von Friedrich Nietzsche:

„Der Mann soll zum Kriege erzogen wer-

den und das Weib zur Erholung des Krie-

gers: alles andere ist Torheit. Allzu süße

Früchte, die mag der Krieger nicht. Dar-

um mag er das Weib. Bitter ist auch noch

das süßeste Weib“, notierte er am 25. Mai

unmittelbar nach einem Sparziergang

mit Ruth im Tagebuch. Dabei wusste sich

Günther Roos auf exaktem ideologischen

Pfad, denn Nietzsches

Also sprach Zara-

thustra

, das Werk aus dem er zitierte, war

neben Hitlers

Mein Kampf

und

Rosenbergs

Mythus des 20. Jahrhunderts

im Grabgewölbe des während der NS-

Zeit so verehrten Tannenberg-Denkmals

niedergelegt worden, was seinen Stellen-

wert verdeutlichte. Zudem dürfte sich der

machtorientierte 17-Jährige zu vielen Ide-

en Nietzsches hingezogen gefühlt haben,

glorifizierte dieser doch – zumindest in

der Lesart des Nationalsozialismus – ins-

besondere Stärke, Kampf, Herrschsucht

und Krieg, also genau jene „Tugenden“,

die zu diesem Zeitpunkt auf der Prioritä-

tenliste von Günthers Denken und Han-

deln ganz oben standen.

Auch hinsichtlich des Kriegsgeschehens

steigerte sich Günther Roos immer stärker

in eine von Phrasen der NS-Propaganda

und unbedingter Führergläubigkeit be-

stimmte Sicht der Dinge. So schrieb er am

26. April: „Nachmittags sprach der Führer.

War das eine Rede! Adolf Hitler hat jetzt

die absolute Gewalt, jeden an seine Pflicht

zu mahnen. England wird jetzt auch wie-

der Bomben kennenlernen. Es wird auch

Zeit.“

[

Ü

62]

Seine Wut auf die Briten stei-

gerte sich Ende Mai nochmals erheblich,

nachdem die britische Luftwaffe in der

Nacht vom 30. auf den 31. Mai 1942 den ers-

ten „1 000-Bomber-Angriff“ der Luft-

kriegsgeschichte auf Köln geflogen hatte:

„Nach fünf Wochen Pause hat der Tommy

in Köln gewütet. Die ganze Luft war ein

„1000-Bomber-Angriff“ von Köln

Mit der Nacht zum 31. Mai 1942 begann mit einem schweren Bombenangriff der britischen Luft-

waffe auf Köln eine neue Phase des Luftkriegs, deren Grundlage durch einen Beschluss des

britischen Kabinetts am 17. Februar des Jahres geschaffen worden war. Danach sollten nunmehr

alle noch geltenden Beschränkungen aufgegeben und der Luftwaffe befohlen werden, ihre Angriffe

„auf die Moral der feindlichen Zivilbevölkerung, insbesondere der Industriearbeiter“ zu richten.

Durch die damit verbundene Zerstörung von Wohnvierteln sollte die Widerstandskraft des deut-

schen Volkes gebrochen werden – eine, wie sich später zeigen sollte, falsche Annahme.

Mehr als 1000 Flugzeuge waren in England gestartet und warfen in mehreren Wellen ihre Bomben

über Köln ab. Das Resultat dieses ersten „1 000-Bomber-Angriffs“ der Luftkriegsgeschichte

waren nach offiziellen Angaben nahezu 500 Tote und mehr als 5 000 Verletzte, wobei die tatsäch-

lichen Zahlen höher gelegen haben dürften. Dass große Teile des alten Kölns mit seinen zahl­

reichen historischen Bauten und romanischen Kirchen in Schutt und Asche gelegt worden waren,

traf die heimatverbundenen Kölner und Rheinländer besonders tief. Zudem wurden rund 12 800

beschädigte Häuser gezählt, wodurch mehr als 13 000 Wohnungen total und etwa 6 400 schwer

zerstört waren, während knapp 23 000 leichte Schäden aufwiesen.

Mit dem 31. Mai 1942 begann für die Kölner eine neue „Lebensform“ des Improvisierens und reinen

Überlebens. Darüber hinaus saß jenseits aller materiellen Zerstörungen der Schock, den das

Erlebte ausgelöst hatte, überaus tief und brannte sich in das „kollektive Gedächtnis“ der Stadt­

bevölkerung ein.

62 Ü Hitler-Rede am 26. April 1942

1942: „Macht will ich haben! Alle sollen mich lieben oder fürchten.“

197

1942