Zu diesem Zeitpunkt hatte sich bei
ihm ohnehin ein weiterer innerer Wandel
vollzogen, der wiederum durch äußere
Veränderungen hervorgerufen oder zu-
mindest beschleunigt worden war. Ob-
wohl er, nachdem man ihn Ende Mai
noch die Führung des HJ-Streifendiens-
tes angeboten hatte, am 20. Juni doch
offiziell mit dem Amt des Jungstamm-
führers betraut worden war, ließen Elan
und Engagement in dieser Richtung zu
sehends nach. Bereits am 4. Juni 1942 hat-
te er in seinem Tagebuch notiert: „Ge-
burtstag! 18 Jahre alt. Gefeiert habe ich
nicht. Warum? Dass ich so alt geworden
bin und noch nichts geleistet habe? Ich
möchte in den Krieg und, wenn es auch
noch so schwerfällt, mir das Recht zu leben
erkämpfen.“
Dieser Anflug von Innehalten und
Nachdenklichkeit mag angesichts seiner
ja gezielt angestrebten Karriere in der
Hitlerjugend und auch seines allgemein
an den Tag gelegten Optimismus er-
staunlich anmuten. Der Eintrag dürfte
nicht zuletzt auf die Briefe zurückzufüh-
ren sein, die Günther zu dieser Zeit von
seinem erneut an der Ostfront eingesetz-
ten Bruder erhielt. Am 8. Mai hatte Gus-
tav sich mit einem kurzen Stimmungsbe-
richt erstmals von dort gemeldet: „Wenn
ich mich auch nicht gerade glücklich füh-
le, so weiß ich doch, dass es sein muss,
und wir müssen uns damit abfinden, so
gut es geht!“ Eine Woche später schilder-
te er Günther die Lage vor Ort dann aus-
führlicher und ungeschminkt:
„In R., wo wir ausgeladen wurden, traf
ich unseren neuen Staffelführer. Der er-
zählte mir, was vorne bei uns los war. Ich
vernahm und war erschüttert, mehr als
erschüttert! Es erfolgte der Marsch, 120 km
auf der Rollbahn gen Osten und dann
war ich bei meinem alten Regiment. Ich
konnte mich nun von allem selbst über-
zeugen und war noch erschütterter, wenn
es das noch geben kann. Die Lage ist fol-
gende: Südlich der Rollbahn […] sitzt der
Russe, bestrebt, diesen für uns und ihn
lebenswichtigen Nachschubweg und die
Angriffsbasis in die Hände zu bekommen.
Wir halten die Stellung. Nördlich der
Rollbahn haben Partisanen und Luftlan-
detruppen zum Teil sogar im Besitz von
Panzern das gleiche Bestreben. […] Man
wundert sich immer wieder, was der Rus-
se immer wieder, selbst nach einem sol-
chen Winter, auf die Beine stellt. Nicht
nur an Menschen, auch an Material. Sei-
ne neuen Divisionen kann er immer noch
mit neuesten Ausrüstungen an die Front
schicken. Über seine Artillerie kann man
nur staunen. Täglich jagt er uns ein paar
anständige Brocken zu, überfällt uns mit
Pak und Ratsch-Bumm, belästigt uns mit
seinen Granatwerfern und ab und zu
lässt er einmal die ‚Stalinorgel‘, sein
Do-Gerät, alle Register ziehen. Seine
neue Panzerkonstruktion, ein 34-Tonner,
war eine peinliche Überraschung für uns;
unsere Pak prallte ab wie Knallerbsen.“
Das hörte sich wahrlich nicht nach
den seitens der NS-Propaganda gebets-
mühlenartig wiederholten Erfolgen an
202
202 /
Zeichnung, die Gustav Roos
im Juni 1942 vom Bunker
an der Front anfertigte,
in dem er sich vorwiegend
aufhielt
1942: „Macht will ich haben! Alle sollen mich lieben oder fürchten.“
199
1942