sche Lebenshaltung“ durchaus zwiespältig.
Einerseits sah er sich im Lauf des Jahres
1940 zu einem ambitionierten Jungvolk-
führer aufsteigen, der das aktuelle Kriegs-
geschehen mit Begeisterung verfolgte, im-
mer stärker in den Bann des verehrten
„Führers“ geriet und es ebenso genoss,
Macht auszuüben. Andererseits weigerte
er sich – hierin bei Weitem keine Ausnah-
me –, den moralischen Vorgaben der
Reichsjugendführung zu entsprechen, die
sich auch auf den angeblich so asketisch
lebenden Adolf Hitler berief. Günther
Roos und seine Jungvolkfreunde empfan-
den das offenbar nicht als Widerspruch.
Nach außen hin „funktionierten“ sie ganz
im Sinne der Reichsjugendführung, und
viele von ihnen wuchsen auch zu ideolo-
gisch überzeugten Jungvolkführern heran.
Dies fiel ihnen aber umso leichter, als sie
beispielsweise mit dem Birkhof eine Aus-
weichmöglichkeit gefunden hatten, ihre
altersgemäßen Triebe und Wünsche relativ
ungestört ausleben zu können.
Dass Günther Roos sein Fortkommen
im Jungvolk dennoch zielstrebig voran-
trieb, machte sich besonders in einem Be-
reich bemerkbar, in dem er sowohl den
Wünschen der Reichsjugendführung als
auch insbesondere jenen seiner Eltern
entsprach. Sichtlich überrascht berichtete
Mutter Elisabeth Roos Anfang Dezember
ihrem Sohn Gustav über die wundersame
Wandlung des Schülers Günther: „Heute
war in der Oberschule Elternnachmittag
mit Sprechstunde, ich habe die Gelegen-
heit benutzt und mich bei Judokus nach
Günther erkundigt. Er hat nun ein Lob-
lied auf Günther angestimmt und hatte
keine Klage über ihn. Er sagte mir, wenn
er so weitermachte, könnte er sein Abitur
mit Gut machen. Was sagst du nun? Gün-
ther hatte aber auch ein schönes Zeugnis,
du wirst es ja sehen, wenn du nach Hause
kommst. Er scheint dich in den Schatten
stellen zu wollen, hoffentlich macht er
nur weiter so.“ Tatsächlich machte Gün-
ther also Ernst mit seiner Ansicht, dass
ein Jungvolkführer auch in schulischer
Hinsicht Vorbild zu sein habe. Da dürfte
die stets besorgte Mutter über den in der
Familie ohnehin üblichen extensiven
Nikotin- und Alkoholkonsum eher
großzügig hinweggesehen haben.
Angesichts seiner Aufstiegsambi
tionen suchte Günther auch den Kon-
takt zum neuen Jungstammführer,
der an die Stelle von Peter Wieland
getreten war. Nach anfänglich aufge-
tretenen kleineren Reibereien mit ihm
frohlockte er am 26. Oktober im Tage
buch: „Seit Samstag kann mich H. gut
leiden. Er sagte mir, er hätte etwas Be-
sonderes mit mir vor. Ich bin mir nur
nicht im Klaren, ob das ein Witz war
oder ob das ernst gemeint war.“ Jeden
falls nahm er nun regelmäßig und
eifrig an den auf dem Birkhof abge-
haltenen Wochenendschulungen teil –
auch diese laut Tagebuch wiederum
mit erheblichem Alkoholkonsum,
aber erneut mit dem gemeinschaftli-
chen Kirchbesuch der anwesenden
Jungvolkführer.
Günther beschritt den Karriereweg
nun offenbar konsequent und suchte
immer wieder den Kontakt zu den
höherrangigen Führern, um etwaige
Beförderungsmöglichkeiten nicht zu
verpassen. Als er am 13. Dezember er-
fuhr, dass einer der Brühler Fähnlein-
führer sein Amt wegen Einberufung
aufgeben würde, stellte er sich naturge-
mäß die Frage: „Wer wird nun das Fähn-
lein bekommen? Ob es S. bekommt?“
Wohl um die eigenen Chancen im
Personalkarussell des Brühler Jung-
volks zu verbessern, traf er sich noch
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Jungvolkaufmarsch am
9. November 1940 auf
dem Brühler Marktplatz
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1940: „Es ist bald wie im Märchen. Deutschland wird siegen!“
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