Als am Nachmittag des 21. August der
Birkhof endlich geputzt war und sämt
liche Möbel des Jungvolks in einem ver-
schließbaren Raum untergebracht waren,
kehrte Günther nach Brühl zurück. Und
was tat er, der tags zuvor noch nackt ge-
badet, zehn Bier getrunken und unge-
zählte Zigaretten geraucht hatte, noch
am gleichen Nachmittag? „Von 7 bis
8 Uhr war ich noch bei Kurt. Haben mit
der Eisenbahn gespielt.“ – So eng lagen in
diesem Jahr 1940 bei ihm Kindheit und
Jugend, Spiel und politische Schulung,
Frieden und Krieg beisammen!
Der Birkhof blieb fortan das Zentrum
der Brühler Jungvolkführer. Während
der normale Jungvolkdienst jungzug-
und fähnleinweise in den einzelnen
Stadtteilen stattfand, trafen sich die Ein-
heitenführer regelmäßig zu gemeinsa-
men Besprechungen und Schulungen in
ihrem „Standlager“. Wenn hier sicherlich
auch Ideologie vermittelt und Wehrer-
tüchtigung betrieben wurde, blieb der
Hof stets ein Ort, an dem die Jugend
lichen die Freiheit fanden, ihre pubertä-
ren Bedürfnisse relativ frei auszuleben.
„War abends auf dem Birkhof. Haben hier
im Kreise der Führerschaft von Peter
Wieland Abschied gefeiert. Das war eine
Sauferei! In einer halben Stunde war alles
leicht angesäuselt. Wolfgang B. und S.
waren sternengranatenvoll. Waren dann
noch zu fünf Mann bei Reusch in Pings-
dorf einen heben. Um 12 Uhr war ich zu
Hause“, notierte Günther etwa am 2. Ok-
tober 1940.
Über die „Lebenshaltung
nationalsozialistischer
Jugendführer“
Es erscheint im Rückblick erstaunlich,
wie leicht sich Günther Roos und andere
Brühler Jungvolkführer, die ihren Dienst
gewissenhaft verrichteten, alle Aufgaben
erfüllten und in ihrer Mehrheit aus
gesprochen aufstiegsorientiert agierten,
in ihrem Freizeitverhalten über Vorgaben
hinwegsetzten, die in sämtlichen Medien,
Veranstaltungen und Schulungen immer
wieder als unverrückbar für „echte deut-
sche Jungen“ propagiert wurden. Die An-
fang 1936 von der Reichsjugendführung
erlassenen Richtlinien zur „Lebenshal-
tung nationalsozialistischer Jugendfüh-
rer“ waren in dieser Hinsicht unmissver-
ständlich und fanden ob ihrer Bedeutung
Eingang in das „Vorschriftenhandbuch
der HJ“. Darin heißt es:
„Die nationalsozialistische Idee ist
nicht nur das Glaubensbekenntnis der
Uniformierten, sondern die Idee der
Lebensausrichtung aller deutschen Men-
schen. Die Bewegung verlangt den gan-
zen Menschen. Es ist deshalb irrig, wenn
da und dort noch angenommen wird,
dass man sich lediglich im Dienst als
Nationalsozialist zu gebärden habe, im
Übrigen als Zivilist die Lebensgewohn-
heiten der Vergangenheit weiter pflegen
dürfe. Gerade der nationalsozialistische
Jugendführer muss Beispiel und Vorbild
einer nationalsozialistischen Gesamt
haltung sein. […] Der HJ-Führer muss
ebenso in seiner eigenen Familie wie in
seinem Verhältnis zu den Eltern seiner
Gefolgschaft, wie zu Menschen, die in
seinen engeren Lebenskreis treten, gleich
ob er sich in seiner Wohnung oder in der
Öffentlichkeit bewegt, eine verpflichtende
Haltung und Form aufweisen. Das Reden
von Haltung und Stil genügt nicht. Am
Anfang müssen die eigene Haltung und
die Tat stehen. Auf die Dauer wird nur
der Jugendführer bestehen können, der
das weiß und danach handelt.
Es ist nicht nur der Angehörigen der
nationalsozialistischen Bewegung im Gan-
zen gesehen, sondern im Besonderen der
Angehörigen der Hitler-Jugend unwürdig,
die Entspannung von harter Arbeit und
Dienst nicht in den Kameradschaftsaben-
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1940: „Es ist bald wie im Märchen. Deutschland wird siegen!“