legenen Birkhof naturgemäß sehr viel
einfacher möglich, sodass dieser für vie-
le der Jugendlichen mehr und mehr zu
einem Ort wurde, wo sie ihre sonst in
vielen Teilen jungvolk- und kriegsbe-
dingt recht streng reglementierte Freizeit
nach eigenem Gusto und unter klarer
Missachtung offizieller Vorgaben gestal-
ten konnten.
Das zeigte sich bei Günther Roos auch
an einem weiteren Punkt, der ihn augen-
scheinlich stark beschäftigte, zugleich
aber mit den moralischen Vorstellungen
und den entsprechenden Vorgaben der
Reichsjugendführung nicht in Einklang
zu bringen war. „War nachmittags auf
dem Birkhof. Habe mit S. und D. ohne al-
les gebadet“, hielt Günther Roos gleich
für den ersten Renovierungseinsatz am
8. Juli fest. Dieses Nacktbaden blieb, so-
lange die Jungvolkführer unter sich wa-
ren, ein fester Bestandteil der Birkhof-
Aufenthalte. „Das war ein Wahnsinnser-
lebnis. Wir hatten Sport getrieben, und
in der Nähe war ein See. Da sind wir
dann splitternackt durch den Wald ge-
laufen und in den See gesprungen“, erin-
nerte sich Günther Roos noch 2012 sehr
lebhaft. Die Jugendlichen sahen sich auf
dem Weg zum Erwachsenen und wollten
dem – vielleicht auch mit einer Portion
Gruppenzwang – äußerlich Ausdruck
verleihen. „War mehrmals auf dem Birk-
hof schwimmen und zwar nackt. Es ist
ein seltsames Gefühl, aber wunderbar.
Bin ja auch schließlich kein Kind mehr,
das sich darüber amüsiert“, fasste Gün-
ther Roos die Bedeutung solcher Aktio-
nen im Tagebuch zusammen. Dessen In-
halt für den Juli 1940 legt den Schluss
nahe, dass die Möglichkeit des unbe
obachteten Nacktbadens für ihn bedeut-
samer war als die eigentlichen Renovie-
rungsarbeiten. Insgesamt erlebten die
Brühler Jungvolkführer den Birkhof als
ihr ureigenes Refugium, das sie entdeckt
und saniert hatten und in dem sie, nicht
die weit entfernte Reichsjugendführung,
die Regeln bestimmten.
Als das Sommerlager endete, notierte
Günther Roos am 18. August entspre-
chend: „Schade. Das Leben hier oben war
wunderbar.“ Und nachdem er mit ande-
ren Führern das Gebäude dann nach
zweitägigen Aufräumarbeiten tatsächlich
verließ, hieß es: „Die schöne Zeit
des Birkhofs ist nun endgültig
vorbei“, wobei der 16-Jährige ge-
rade die beiden letzten „inoffiziel-
len“ Tage mit vielen lustigen,
alkoholgeschwängerten Erlebnis-
sen ausdrücklich als die „schöns-
ten“ der gesamten zweieinhalb
Wochen empfand. Jegliche Form
von Dienst- oder Tagesplänen
war außer Kraft gesetzt. So wur-
de am 20. August erst gegen
16 Uhr zu Mittag gegessen, da-
nach geschlafen, um dann gut er-
holt und mit einem um 21 Uhr
eingenommenen Abendbrot in
einer Gastwirtschaft eine „Ab-
schiedsfeier“ zu veranstalten.
„Habe zehn Bier getrunken. Schön
war die Zeit …“
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1940: „Es ist bald wie im Märchen. Deutschland wird siegen!“
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