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man marschiert, was ich, meiner Wichtigkeit be-

wusst, auch gerne tat. Und dann fragte mich Tante

Käthchen: ‚Hör mal, Günther, was hast du denn da

beim Marschieren immer gerufen?‘ Und ich schmet-

terte begeistert los: ‚Juda verrecke!‘ Empört erwider-

te hierauf Tante Käthchen: ‚Pfui, pfui, dreimal pfui!

Juden sind doch auch Menschen!‘ Und hierauf hatte

ich schon die richtige Antwort gelernt: ‚Läuse und

Flöhe sind auch Tiere, aber trotzdem zerquetscht

man sie!‘“

Wie schnell die politische Instrumentalisierung

und Indoktrination selbst bei den Kleinsten erfolgte,

sollte sich am Beispiel von Günther Roos alsbald

deutlich zeigen. Zeitlebens sei ihm sehr gegenwärtig

geblieben, dass er – vermutlich im zeitlichen Zusam-

menhang mit den Boykotts vom 1. April 1933 – in den

Besitz von runden Klebeplaketten gekommen war,

die auf rot-weißem Grund eine „Judenfratze“ und

den Slogan „Wer bei Juden kauft, ist ein Volksverrä-

ter“ zeigten. Auf dem morgendlichen Schulweg habe

er diese Plaketten immer wieder auf die Schaufenster

jüdischer Geschäfte geklebt. „Das machte Spaß, so

was. Gerade die Jugend kann man dafür ja schnell

kriegen. Die merken ja sehr schnell: Da ist ein

Schwächerer. Da kannst du die Sau abgeben.“

⁶³

Da-

bei kannte er die jüdische Nachbarschaft der

verschiedenen Familienzweige gut. So verkehrte

beispielsweise der Metzger Leonard Sürth – „Sürth

Leies“ genannt – damals häufig bei den Klugs in der

Uhlstraße.

Dieses „die Sau abgeben“ auf Kosten anderer prak-

tizierte man laut Günther Roos nicht zuletzt im

Brühler Jungvolk. In dessen Einheiten habe es eine

deutlich antisemitische Agitation gegeben, die sich beispiels-

weise darin geäußert habe, dass während der Heimabende Lieder

wie das folgende eingeübt worden seien (das er im Übrigen noch

bis zu seinem Lebensende aus dem Stegreif und komplett rezi-

tieren konnte):

O Herr, gib uns den Moses wieder, / auf dass er seine Glau-

bensbrüder / heimführe ins gelobte Land. / Dass wiederum das

Meer sich teile, / und dass es wie auf zwei Wassersäulen / Festste-

he wie eine Felsenwand. / Und wenn in dieser Wasserrinne / das

ganze Judenpack ist drinne, / o Herr, dann mach die Klappe zu /

und alle Welt hat wieder Ruh. / Amen

.

⁶⁴

[

Û

11]

Auch abseits dieses praktizierten Antisemitismus fühlte sich

Günther Roos zunächst wohl im Jungvolk und zeigte sich vom

Elan der neuen „Bewegung“ beeindruckt, die mit ihren immer

neuen Feiern auch das kleinstädtische Leben in Brühl domi-

nierte: „Mit der ‚neuen Zeit‘ begann aber auch eine Menge neu-

er Feste. Da waren ‚Führers Geburtstag‘, der ‚Tag der Arbeit‘,

das Erntedankfest und der 9. November [Jahrestag des Hitler-101

100/

Plakette, die Günther Roos 1933 auf

dem Schulweg auf Schaufenster jüdischer

Geschäfte klebte

101/

Das Geschäft des Brühler Juden Siegmund

Sürth in der Uhlstraße, Ende 1934. Dessen

Bruder Leonard verkehrte regelmäßig in

Günther Roos’ Großfamilie. Siegmund und

Leonard Sürth wurden 1942 mit ihren Ehe-

frauen deportiert und ermordet.

11 Ü Ein achtjähriger Antisemit?

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Prägungen

74