anfangs einschüchterten, später dann we-
gen ihres Inhalts aber auch nachdenklich
stimmten: „Es wurde weniger von Liebe
gesprochen, als vielmehr vor Hölle und
Verdammnis gewarnt. So entstand eine
Atmosphäre der Angst. Gott war all
gegenwärtig, er kauerte hinter jeder Ecke
und beobachtete uns, ob wir auch nichts
Unrechtes taten. Und was gab es nicht al-
les für Ängste! Wir waren davon über-
zeugt, dass man sofort erblindet, wenn
man bei der Wandlung [von Teig] zum
erhobenen Brot hinsah, da dies ja in die-
sem Moment zu Gott wurde. Ebenso
waren wir davon überzeugt, dass man
unter entsetzlichen Qualen stirbt, wenn
man bei der Kommunion nicht mehr
nüchtern war. Also verzichtete man lieber
am Sonntag auf das Zähneputzen, als
dass man durch einen versehentlich ver-
schluckten Wassertropfen sein Todesur-
teil sprach. Was für eine Qual war auch
die Gewissenserforschung vor der Beich-
te! Hatte man alle Sünden? Und die Not,
dass man auch bei der Beichte keine ver-
gaß! Die Hölle mit all ihren Schrecken
war dann sicher. Da beichtete man lieber
schon mal eine Sünde mehr, als man tat-
sächlich begangen hatte. Die Angst vor
einer Sünde ging so weit, dass man bei
der Körperpflege gewisse Stellen sorgfäl-
tig zu waschen vermied, da man dann ja
Unkeusches berührte. […] Dem ewigen
Verderben konnte man nur entgehen,
wenn man heilig wurde. So ist es nicht
verwunderlich, wenn man […] als Zu-
kunftswunsch erträumte, selbst einmal
als Märtyrer sein Leben zu beenden.“
Zu einem der frühen Zukunftsziele
des kleinen Günther wurde es dann auch,
entweder – wie er sich ausdrückte – als
Märtyrer im Kochtopf eines zu bekehren-
den Stammes in Afrika zu enden oder zu-
mindest Papst zu werden. Bei der späte-
ren Aufarbeitung seiner Erfahrungen
während der NS-Zeit habe er sich dann
häufiger die Frage gestellt, ob es „ein wei-
ter Weg von diesem überspannten Glau-
ben zu dem totalitären Anspruch der
NSDAP“ gewesen sei, „von der Allmacht
Gottes zu der des Führers, vom Märty-
rertod für den Glauben zum Hel-
dentod für Deutschland“.
Günther genoss zugleich je-
doch auch im Schoß der Groß
familie die zahlreichen „schönen
Erlebnisse“, die ihm der Katho
lizismus bot: die „erhabene und
bewegende Feier“ – aber sicher-
lich auch die Geschenke – zur
Erstkommunion oder die jährli-
chen Wallfahrten zum Domini-
kanerkloster im benachbarten
Walberberg: „Am Pfingstmontag
trafen wir uns alle bei Klugs auf der Uhl-
straße, frühmorgens um 5 Uhr. Um halb
6 war dann Abmarsch nach Walberberg.
Den Rosenkranz betend zogen wir durch
die Felder beim ersten Schein der Mor-
gensonne. Um 7 Uhr war dann die feierli-
che Messe in der Kirche von Walberberg,
die bis etwa 9 Uhr dauerte.“ Anschlie-
ßend beging die gesamte Familie den
Pfingstmontag gemeinsam, der damit
stets zu einem besonderen Festtag für die
Kinder wurde.
Gerade im kindlichen Empfinden muss-
ten die nach 1933 immer deutlicher zutage
tretenden Diskrepanzen und nicht selten
öffentlich ausgetragenen Auseinanderset-
zungen zwischen katholischer Kirche und
NS-Regime zu Verunsicherung und Ver-
störung führen. So erlebte es auch Günther
Roos: „In einen gewissen inneren Kon-
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