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Leiden zu erlösen?‘ – ‚Ja, sicher!!‘ Zu diesem Thema

sahen wir auch in einer Schulfilmveranstaltung den

Film

Ich klage an

.

⁶¹

[

Û

7]

Aber selbst die sogenannten exakten Wissenschaf-

ten standen im Dienst der Ideologie. Aus Parabeln

wurden Geschossbahnen, aus der Stereometrie wur-

de die Kursberechnung für Kriegsschiffe. An eine

typische Textaufgabe […] erinnere ich mich gut: ,Die

Bevölkerung setzt sich wie folgt zusammen: Der An-

teil der Erbminderwertigen eines Volkes beträgt

5 Prozent mit 10 Kindern je Generation, der Durch-

schnitt beträgt 85 Prozent mit zwei Kindern je Gene-

ration und die 10 Prozent Erbhochwertigen haben

nur ein Kind je Generation. Wie ist die Zusammen-

setzung der Bevölkerung nach 10, nach 20 Genera­

tionen?‘ Die Schlussfolgerung ist klar, sie fordert

direkt nach der Zwangssterilisation Erbminderwer-

tiger! Ein weiteres Beispiel für die Durchdringung

von Naturwissenschaft mit Ideologie ist mein altes

Chemiebuch. Hier wird immer wieder zwischen dem

eigentlichen Lehrstoff Propaganda eingeschoben. Da

wird der Weitblick der nationalsozialistischen Wirt-

schaftsführung geschildert, da wird zum Sparen und

Sammeln von Rohstoffen aufgefordert, da werden

die Anstrengungen in der Erreichung einer Autarkie

behandelt und es wird ausführlich auf die Chemie der Spreng-

stoffe und der chemischen Waffen eingegangen.“

[

Û

8]

Rückblickend bilanzierte Günther Roos schließlich: „Diese

intensive Beeinflussung auf allen Ebenen konnte natürlich auf

die Dauer nicht ohne Folgen sein, zumal kritische Einwände

niemals erfolgten.“

Kirche – „Grüß Gott“ oder „Heil Hitler“,

das war nun die Frage

Nicht nur an der Schule wurden von NS-Ideologie abweichende

Äußerungen unterbunden, mit der Kirche wurde auch jene Ins-

tanz mit großer Vehemenz in den Hintergrund gedrängt, die

Heranwachsenden vielleicht noch Pfade abseits der NS-Ideolo-

gie hätte aufzeigen können. Dabei hatte die katholische Kirche

die Kindheit und Jugend von Günther Roos nach eigenem Be-

kunden maßgeblich bestimmt und entsprechend großen Ein-

fluss auf ihn ausgeübt: „Der Ablauf des Jahres war weitgehend

bestimmt durch kirchliche Feste, die auch von der ganzen Be-

völkerung gefeiert und getragen wurden.“

Allerdings entwickelte Günther bereits in seiner Kindheit ein

durchaus zwiespältiges Verhältnis zu den kirchlichen Vorgaben

und empfand – hierin wohl zumindest unterschwellig beein-

flusst und unterstützt vom in den 1920er-Jahren aus der Kirche

ausgetretenen Vater – einige ihrer Ausprägungen aus kindlicher

Sicht beängstigend. Das galt nicht zuletzt für die wortgewaltigen

und zumeist lauten Predigten des Oberpfarrers Fetten, die ihn

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90 /

Titelseite der

Hilf mit!

, der damals weltweit

auflagenstärksten Schülerzeitschrift, 1935

91 /

V. l. n. r.: Walter Klug, Franz-Peter Reiners,

Günther Roos, Kurt Klug, Günter Skovronek

und Gustav Roos anlässlich der Erst­

kommunion von Günther Roos 1934. Zum

Foto notierte Günther Roos später: „Eine

Galerie braver Buben im Matrosenanzug“.

92 /

Die Kommunionkinder Günther Roos (rechts)

und Kurt Klug im – wie Günther Roos nach-

träglich kommentierte – „obligatorischen

Matrosenanzug von Bleyle“, 1934

7 Ü Der Film„Ich klage an“ (1941) 8 Ü Rassismus im Schulunterricht

Prägungen

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