„Turnen“ an letzter Stelle auf dem Zeugnis gestanden, sei hier
bald eine grundlegende Änderung eingetreten.
Statt Religion firmierten nun die Leibesübungen an erster
Stelle der Benotungsskala. Das zuvor meist eher vernachlässigte
Fach erfuhr zudem dadurch eine weitere Aufwertung, dass es in
die fünf Kategorien „Leichtathletik“, „Turnen“, „Schwimmen“,
„Spiele“ und „Boxen“ aufgeteilt wurde, die nach einem eigens
eingeführten Punktesystem beurteilt wurden. Zusätzlich gab es
als eigene Rubrik noch die Gesamtbeurteilung der „Körper
lichen Leistungsfähigkeit“. Damit war der Sport zumindest in
den Augen der Schüler zu einem sehr wichtigen Bereich im
schulischen Leben aufgestiegen, was sich bei Günther Roos auch
in der Freizeitgestaltung niederschlug: Ausweislich seines Tage-
buchs betätigte er sich ab spätestens 1938 auch neben dem Schul-
unterricht als eifriger Turner und Schwimmer. Das Fach Religi-
on war mit dem Schuljahr 1938/39 dagegen an das
Ende des Zeugnisformulars verbannt worden – nur
noch „unterboten“ von der Beurteilung der Hand-
schrift.
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Es blieb aber nicht bei diesem Platz- und damit
Bedeutungstausch zwischen Sport und Religion.
Sämtliche gymnasialen Schulfächer wurden künftig
in Gruppen eingeteilt, die entsprechend der ihnen
im NS-Staat beigemessenen Bedeutung auf dem
Zeugnis angeordnet waren. Auf „Leibeserziehung“
folgte als zweite Gruppe die „Deutschkunde“, zu der
mit den Fächern Deutsch, Geschichte, Erdkunde,
Kunsterziehung und Musik all jene Unterrichtsge-
genstände zählten, denen das NS-Regime hinsicht-
lich der ideologischen Ausrichtung kommender
Schülergenerationen einen hohen Stellenwert bei-
maß. Die nächstfolgende Gruppe „Naturwissen-
schaften und Mathematik“ wurde vom Fach Biologie
angeführt, war hier doch all jenes zu vermitteln, was
unter die Rubrik „Rassenkunde“ fiel. Danach folgten noch die
weiteren Gruppen „Fremdsprachen“ und die neu eingerichteten
„Arbeitsgemeinschaften“, ehe die „Religionslehre“ den so völlig
neu gestaffelten und bewerteten Fächerkanon abschloss.
Es blieb aber auch an der – zumindest ehemals – so katholi-
schen Brühler Schule nicht bei reinen Formalien. Zur inhalt
lichen Ausgestaltung erinnerte sich Günther Roos, der dazu
etwas länger zitiert werden soll, wie folgt: „Der Unterrichtsstoff
wurde mehr und mehr vom Gedankengut des Nationalsozialis-
mus durchtränkt, und kein Lehrfach wurde davon verschont.
Im Deutschunterricht ging der Bogen von den isländischen
Sagas über das Nibelungenlied bis zu Philipp Bouhlers Buch
‚Kampf um Deutschland‘. Besonders total war die Ausrichtung im
Fach Geschichte. Hier lernten wir, dass bei Fehlentwicklungen
in unserer Geschichte hieran entweder der Partikularismus oder
die römische Kirche oder im Besonderen die Verschwörung des
Weltjudentums die Schuld trüge. Da Hitler uns von all diesen
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Turnstunde im Brühler Stadion, 1941,
Günther Roos 4. v. r.
6 Ü Schulsport im NationalsozialismusPrägungen
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