Zu einem tieferen Verständnis von Günther Roos’
Kindheit und Jugend und damit auch seines Verhal-
tens während der NS-Zeit bedarf es neben der Be-
trachtung des kleinstädtischen Brühler Umfeldes und
seiner bürgerlich-katholischen Großfamilie auch
einer ausführlichen Würdigung seines Vaters Toni.
Er war es wohl, der insbesondere durch seinen le-
benslustig-leichtsinnigen und dabei genussorientier-
ten Lebenswandel einen großen Einfluss auf seine
Söhne ausübte, auch wenn diese sich dann in wichti-
gen Punkten recht unterschiedlich entwickeln soll-
ten.
Der am 31. Juli 1895 geborene, stets „Toni“ genann-
te Anton Roos galt schon in Jugendjahren als eher
labiler Charakter. Bevor sein Vater Gustav am 9. No-
vember 1913 im Alter von 54 Jahren starb, machte er
sich hinsichtlich der Zukunft seines erst 18 Jahre alten
Sprösslings große Sorgen. Toni, so schrieb er Ende September 1913
angesichts des nahenden Todes an seine Frau Josephine, würde
nun „so früh führerlos“, wo er doch so dringend der Führung be-
dürfe. Und am 29. Oktober notierte er in sein Krankenhaustage-
buch, sein Sohn sei doch „noch so unerfahren und so jung“. „Wo
soll das mit ihm hin, wenn er keine Führung hätte?“
⁵²
Dass Toni klarer Regeln und auch der steten Kontrolle von
deren Einhaltung bedurfte, hatte sich bis dahin bereits mehr-
fach erwiesen und war wohl nicht zuletzt auf den eher lockeren
Lebenswandel des ihm als Beispiel dienenden Vaters selbst zu-
rückzuführen.
⁵³
In seinen – wahrscheinlich nach 1945 verfass-
ten und unvollendet gebliebenen – Lebenserinnerungen betonte
Toni Roos jedenfalls ausdrücklich den von seinem aus dem
Württembergischen stammenden Großvater ausgehenden Anti-
militarismus, der auch auf seinen Vater und schließlich auf ihn
selbst übertragen worden sei. Bei ihm persönlich, so seine
Selbsteinschätzung, habe sich diese Haltung zu einem „Hass ge-
gen jeden Zwang“ entwickelt. Zugleich wurde er zu einem aus-
geprägten Genussmenschen erzogen, der unter familiärer Dul-
dung und Förderung früh mit Alkohol und Nikotin in Berüh-
rung kam. Bei all dem fühlte sich Toni Roos eng mit seinem
Vater verbunden: „Wir hatten beide dieselbe Lebenslustigkeit
und verstanden uns ausgezeichnet. Vom Vater habe ich auch die
Gutmütigkeit, das Bedürfnis, anderen Menschen zu helfen, das
Reisefieber und den Trieb des Reisens überhaupt. Was ich auch
von ihm in Erbschaft bekommen habe, ist, dass ich im Geldaus-
58
59
60
56 /
Anton Roos, 1917
57 /
Anton Roos 1935
58 /
Anton Roos, um 1899
59 /
Anton Roos, um 1907
60 /
Anton Roos mit seinem
Vater Gustav, um 1907
Der Vater
51