auch den ihr zeitweise anvertrauten Her-
anwachsenden seit deren frühester Kind-
heit alkoholische Getränke zugänglich
gemacht. Günther Roos berichtete, Groß-
tante Emilie habe sich besonders „inten-
siv“ um seinen Vater Toni gekümmert;
„ob immer zu dessen Vorteil, mag dahin-
gestellt bleiben“. Alkohol- und Nikotin-
genuss jedenfalls waren im Hause Roos
zentraler und nie kritisch hinterfragter
Bestandteil des Alltaglebens.
Später wurde Günther selbst zu Emi-
lies „erklärtem Liebling“, wohl nicht zu-
letzt deshalb, weil er seinem lebenslusti-
gen Großvater und seinem geselligen Va-
ter in dieser Hinsicht weitaus ähnlicher
war als sein eher introvertierter älterer
Bruder Gustav. Emilie Roos wurde in ih-
ren letzten Lebensjahren im Übrigen
noch zu einer glühenden Verehrerin von
Adolf Hitler, ohne sich dabei im engeren
Sinne für Politik zu interessieren. „Ne,
was ist das für ein schöner Mann!“, habe
sie immer wieder geäußert, erinnerte sich
der damals achtjährige Günther später.
Und in ihrer Begeisterung habe sie im
Frühjahr 1933 dann ihrem „Schwälbchen“ –
so ihr Kosename für Günther – eine Jung-
volkuniform gekauft. „Und als ich sie hat-
te, musste ich sie immer wieder vorführen.“
Als Emilie Roos nach einem Schlaganfall
am 23. März 1935 starb, sollen gemäß der
Familienüberlieferung ihre letzten Worte
gewesen sein: „Hört ihr die Trommeln?
Da marschiert der Günther.“
Franz Charles, Günthers Großvater
mütterlicherseits, war Bäckermeister und
brachte es mit seinem Geschäft auf der
Kölnstraße in Brühl zu einigem Wohl-
stand. Er entstammte einer alteingesesse-
nen Brühler Familie und war ebenfalls
angesehenes Mitglied der kleinstädtischen
Gesellschaft und der katholischen Kirche,
wo er sich entsprechend engagierte. So
war er unter anderem Ratsmitglied, zwei-
ter Vorsitzender der Brühler Handwerke-
rinnung, Mitglied im Kirchenvorstand
sowie Vorstandsmitglied im Katholischen
Bürgerverein und dem Windthorstbund,
der Jugendorganisation der katholischen
Zentrumspartei. Großmutter Christina
Charles entstammte der Kölner Bäckers-
familie Heimich. Als ihr Mann 1910 über-
raschend starb, stand sie allein mit dem
gut gehenden, aber arbeitsintensiven Ge-
schäft und vier unmündigen Kindern da –
darunter Günthers damals 14-jährige
Mutter Elisabeth. Es gelang Christina
Charles jedoch, Geschäft und Kinder gut
durch den Ersten Weltkrieg und die
schwierige Nachkriegszeit zu bringen.
Nach einer schweren Operation verkaufte
sie 1927 die Bäckerei und lebte künftig –
betreut von ihrer jüngsten Tochter Au-
guste – als Rentnerin, bis sie 1943 starb.
Für ihren Enkel Günther war sie „eine
gütige, verständnisvolle Oma, zu der wir
gerne hingingen“.
Das also war die gutbürgerliche und
katholische Familienwelt, in die Günther
Roos im Herzen der Kleinstadt Brühl
hineinwuchs. Er selbst definierte die
von ihm erfahrene Form der Großfamilie
als eines der prägenden Elemente seiner
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„Kirschwassertante“
Emilie Roos (1860–1935)
im Jahr 1897
Die Großfamilie
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