Wehrkraftzersetzung und Selbstverstümmelung
„Zersetzung der Wehrkraft“, kurz „Wehrkraftzersetzung“ genannt, war die Bezeichnung
für zumeist mit der Todesstrafe, zumindest aber mit langer Haft geahndete Verstöße gegen
die kurz vor Kriegsbeginn am 26. August 1939 in Kraft gesetzte Kriegssonderstrafrechts-
verordnung (KSSVO). Zu den darin aufgeführten wichtigsten Tatbeständen zählten
Kriegsdienstverweigerung, „defätistische Äußerungen“ und Selbstverstümmelung.
Die weitgefassten Formulierungen im Gesetz sowie dessen Ausrichtung am „gesunden
Volksempfinden“ ermöglichten Urteile mit drakonischen Strafen.
In Paragraf 5 der KSSVO hieß es unter anderem,
dass sich derjenige der Wehrkraftzersetzung schuldig
mache, „wer es unternimmt, sich oder einen anderen
durch Selbstverstümmelung, durch ein auf Täuschung
berechnetes Mittel oder auf andere Weise der
Erfüllung des Wehrdienstes ganz, teilweise oder zeit-
weise zu entziehen“.
Über die insbesondere an der Ostfront große Gruppe
der „Simulanten“ und Selbstverstümmler ist bis
heute eher wenig bekannt. Die überlieferten Akten
legen den Schluss nahe, dass es vor allem einfache,
junge und völlig verzweifelte Soldaten waren,
die sich selbst verletzten, Krankheiten vortäuschten
oder sich im Lazarett oder im Bordell absichtlich
ansteckten. Manche Verzweifelte spritzten sich auch
giftige Substanzen oder tranken sie, um krank zu
werden. Viele von ihnen starben daran. Mit zuneh-
menden Verlusten an den Fronten wurde tatsäch
licher oder angeblicher Selbstverstümmelung immer
strenger nachgegangen. Das führte dazu, dass
auch viele durch Feindeinwirkung Verwundete und
schuldlos krank Gewordene als Simulanten und
Drückeberger beschimpft wurden.
Die Zahl der Verurteilten ist bis heute unbekannt.
Schätzungen gehen allein von 30 000 bis
35 000 Soldaten aus, die wegen „Wehrkraft
zersetzung“ zum Tode verurteilt wurden, unter
ihnen rund 10 000 Selbstverstümmler.
231
231 /
Nachdem er sich selbst
versehentlich in den
Fuß geschossen hatte,
erhielt Günther Roos
am 20. Januar 1944 das
Verwundetenabzeichen.
1943:„Als Soldat gehöre ich nur noch meinem Führer!“
232