1941 hatte er mit klar umrissenen rassistischen Vorstellungen
dessen, was ihn dort erwarten würde, seine Fahrt an die
Ostfront angetreten. Nun aber machten ihn seine konkreten Be
obachtungen doch zunehmend nachdenklicher, denn das Ver
hältnis zur russischen Bevölkerung, so erinnerte sich Günther
Roos später, sei sehr gut und von großer Freundlichkeit geprägt
gewesen: „Wir haben festgestellt, dass das ganz liebenswerte
Menschen sind. Das war Quatsch, das mit dem ‚Untermen
schentum‘.“
All seine neuen Eindrücke und Überlegungen, die in wesent
lichen Punkten mit dem kollidierten, was ihm zuvor insbeson
dere in Lehrgängen und Lagern vermittelt worden war, münde
ten offenbar in einen Prozess, in dessen Verlauf Günther vieles
von dem, was ihm in seinen Jahren als Jungvolkführer so wichtig
und erstrebenswert erschienen war, auf den Prüfstand und nicht
selten dann auch infrage stellte. „Ich muss schon sagen, dass ich
von Russland bisher angenehm enttäuscht bin“, hieß es etwa am
7. September erneut. „Hoffentlich bleibt es so. Wenn ich mal so
nachdenke, so muss ich schon sagen, dass ich mich doch gewal
tig verändert habe. Mein Ideal ist es jetzt, möglichst
bald zu studieren und als Architekt ein anständiges
Leben zu führen. Nur ab und zu kommt mir mein al
ter Wunsch nach Macht und ähnlichen Dingen zum
Vorbruch, um dann schnell wieder der Vernunft zu
weichen. Ich glaube, man wird doch langsam ‚älter
und reifer‘.“
Wera
Die nun zum Ausdruck kommende Veränderung
seiner Einstellung verstärkte sich nochmals, als
Günther Mitte Oktober bei der Beschaffung von Le
bensmitteln in einem russischen Dorf eine für ihn
sehr wichtige Bekanntschaft machte: „Lernte dann
ein Mädel kennen. Schade, so schade, dass sie keine
Deutsche ist.“ Ganz offenbar geriet Günthers durch
die NS-Rassenideologie geprägtes Weltbild erheblich
durcheinander, musste er sich doch eingestehen,
in Brühl zuvor kein auch nur annähernd so „ver
nünftiges und sauberes Mädel“ kennengelernt zu ha
ben. Günther besuchte Wera, die als Dolmetscherin
bei einem deutschen Wehrwirtschaftsführer tätig,
nach seiner späteren Überzeugung aber eher eine
sowjetische Agentin mit Kontakt zu den Partisanen
war, abends nun häufiger. „Sie lehrte mich etwas rus
sisch, und dann erzählte sie von Russland und ich
von Deutschland“, notierte er über die Treffen mit
ihr am 17. Oktober im Tagebuch. „Wera, was mag aus
dir werden?“, fragte er sich besorgt. „Ja, ich hab sie
lieb und sie mich auch. Herrgott, warum ist
sie Russin und keine Deutsche? Dann wäre ja alles,
alles gut.“
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Günthers russische
Bekanntschaft Wera,
1943
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1943:„Als Soldat gehöre ich nur noch meinem Führer!“
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1943