So sah sich der verliebte 19-Jährige mit
den Barrieren konfrontiert, die die NS-
Rassenideologie unüberwindbar vor ihm
auftürmte: „Aber so trennt uns eine tiefe
Kluft, die wohl nie zu überbrücken ist.
Schade, so schade.“ Mit jedem dieser von
ihm als sehr intensiv empfundenen Treffen
mit seiner russischen Freundin steigerten
sich Günthers Begeisterung und Ver
zweiflung. „Habe noch einmal schöne
Stunden mit Wera verlebt“, berichtete er
drei Tage später. „Sie hat ein Feingefühl
und hohes geistiges Niveau, verbunden
mit einer Natürlichkeit, wie ich es bisher
noch bei keinem deutschen Mädchen ge
funden habe. Als ich dann endgültig Ab
schied nahm, fühlte ich, dass sie mir gerne
noch etwas gesagt hätte, aber wir gaben
uns nur die Hand und gingen. Wir ver
standen uns ohne Worte: Der Krieg steht
zwischen uns.“
Diese verbotene Beziehung mitten im
härtesten Krieg, so resümierte Günther
Roos Jahrzehnte später, habe bei ihm eini
ges bewirkt. Wenn er sich „als Angehöri
ger einer ‚Herrenrasse‘“ auch nicht dazu
habe durchringen können, seine Freun
din „als russischen ‚Untermenschen‘ zu
berühren“ – die körperlichen Kontakte
beschränkten sich auf wenige „heiße
Küsse“ –, so habe sie doch seine zuvor so
fest gefügten Vorstellungen „stark ins
Wanken“ gebracht: „Das waren doch
Menschen wie wir!“
Tatsächlich fiel eine Art Resümee sei
ner bisherigen Erlebnisse im Osten, das
Günther dann Ende Oktober zog, er
staunlich positiv aus. Er wolle, so notier
te er am 27. Oktober, „einmal etwas über
Russland erzählen“: „Die Eindrücke, die
ich gewonnen habe, sind sehr unterschied
lich.“ Bis zu „den Tagen in Dubrowno“, wo
er Wera kennenlernte, habe er geglaubt,
„ein sehr primitives, unglückliches und
schmutziges Volk“ vor sich zu haben.
„Als ich jedoch in Dubrowno und in dem
Nest, wo wir jetzt liegen, Klein-Korewo,
einmal das Leben studieren konnte, wie
es in Normalzeiten etwa war, habe ich
einen ganz anderen Eindruck erhalten.“
Natürlich sei die Zivilisation hier „ver
hältnismäßig gering“ entwickelt, räumte
Günther ein, „aber in den abgelegenen
kleinen Eifelnestern sieht es auch nicht
viel besser aus“. Wichtig war ihm etwas
anderes: Die russische Bevölkerung wür
de einen „Nationalstolz“ an den Tag legen,
„wie er in Deutschland selten“ sei. Gerade
Wera habe ihm in dieser Hinsicht vieles
erklärt und so nähergebracht. Insbeson
dere, so schloss er seine Reflexion, habe er
zwischen Bolschewismus und National
sozialismus „viele Parallelen“ entdeckt.
„Die große Kluft ist erst bei der Rassen
frage.“ – So ließen diese neuen Erfah
rungen einen sichtlich irritierten und
nachdenklich gewordenen Günther Roos
zurück.
Sehr schnell wurde er aber durch
bedrohliche Neuigkeiten von solchen Ge
dankenspielen abgelenkt. „Der Knall kam
heute Morgen“, schrieb er am 6. November
an Vater Toni, dem er mitteilen musste,
„dass die Verfügung über die Zurückzie
hung einziger Söhne aufgehoben sei, falls
der Vater noch lebe“. Das bedeutete, dass
Günther bereits an einem der nächsten
Tage zur Gefechtsbatterie und damit un
mittelbar an die Front versetzt werden
würde. „Das ist natürlich weniger schön.
Aber scheißegal, mich soll schon so
schnell kein Russe schnappen.“ Im Tage
buch ergänzte er: „Na, so lerne ich doch
noch den Krieg aus nächster Nähe kennen.
Egal, ich werde mich schon durchfressen.“
Mutter Elisabeth habe er von dieser er
schreckenden Neuigkeit vorläufig noch
nichts mitgeteilt. Er wolle zunächst abwar
ten, wie lange er noch an der Ostfront blei
ben müsse, und habe die Hoffnung, im
Dezember wieder nach Deutschland zu
kommen, noch nicht völlig aufgegeben.
Nachdem Günther Roos am 9. Novem
ber tatsächlich zur Gefechtsbatterie ab
kommandiert worden war, kam der erste
harte Einsatz schneller als befürchtet.
„Der Iwan trommelt! Und nicht schlecht.
4½ Stunden lag das Feuer auf unserer
Stellung. Die Erde bebte, die Luft dröhn
te. Feuertaufe! Als ein Feuerkommando
kam, ging ich mal raus, aber es war sinn
los, [den Werfer] zu richten. Ich werde
1943:„Als Soldat gehöre ich nur noch meinem Führer!“
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