Table of Contents Table of Contents
Previous Page  83 / 300 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 83 / 300 Next Page
Page Background

Teilen der deutschen Bevölkerung – in

der Brühler Kurfürstenstraße das breit-

gemacht und verfestigt, was Günther

Roos später „das unbedingte Vertrauen

in den Führer“ nennen sollte. Vater Toni

hatte zu diesem Zeitpunkt eine scheinbar

sichere Stellung in der NS-Wirtschafts-

verwaltung, Deutschland näherte sich der

Vollbeschäftigung, hatte die Wehrpflicht

eingeführt und damit sowie mit der Be-

setzung des Rheinlandes wichtige Teile

des Versailler Vertrages außer Kraft ge-

setzt. Nach all diesen „Erfolgen“ gab es

dann im August 1936 noch zwei, gerade

in jugendlichen Augen besonders bedeut-

same, sportliche Ereignisse: die Olym­

pischen Spiele in Berlin mit den so über-

aus erfolgreichen deutschen Sportlern

und der Sieg des Boxers Max Schmeling

gegen den „braunen Bomber“ Joe Louis.

„Schmelings Sieg, ein deutscher Sieg!“,

notierte Günther am 9. August in sein

Tagebuch und kommentierte später sein

damaliges, natürlich von außen so an ihn

herangetragenes Empfinden: „Hier hatte

nicht ein Boxer den anderen geschlagen,

hier hatte ein Deutscher, ein Arier, über

einen Neger gesiegt.“ Und auch die Tatsa-

che, dass deutsche Sportler bei der Olym-

piade die meisten Medaillen gewannen,

ließ in seinen Augen nur eine Interpreta-

tion zu, nämlich jene der „Überlegenheit

der nordischen Rasse“. Dem Sport, dem

ja in Schule, Hitlerjugend und der gesam-

ten Gesellschaft ein immer größerer

Stellenwert beigemessen wurde, kam zu-

gleich eine immer wichtigere rassenideo-

logische Bedeutung zu: Der „arische“

deutsche Junge war überlegen und hatte

ein Sieger zu sein.

Pogrom – „Das will ich sehen!“

So wie das Frühjahr 1936 von der Beset-

zung des Rheinlands geprägt gewesen war,

überstrahlte zwei Jahre später der „An-

schluss“ Österreichs alles übrige Gesche-

hen. Wie viele Deutsche verfolgte auch

Familie Roos im Radio die Entwicklung

der Ereignisse, die selbstverständlich

auch in der Schule aufgegriffen wurden:

„Nachdem dann am 12. März [1938] Öster-

reich ins Reich heimgekehrt war, wurde

dieses Ereignis natürlich auch im Gymna-

sium eingehend behandelt. So mussten

wir im Erdkundeunterricht nunmehr die

neuen Gaue auswendig lernen, während

im Geschichtsunterricht die Tat des Füh-

rers eingehend gewürdigt wurde. Er war

jetzt der größte Deutsche aller Zeiten, der

Vollstrecker eines tausendjährigen Trau-

mes von einem geeinten Deutschland.

‚Ein Volk, ein Reich, ein Führer‘.“ Er sei,

so bekundete Günther Roos 1989, noch

immer davon überzeugt, dass das Ergeb-

nis der für den 10. April 1938 angeordne-

ten Reichstagswahlen keine Fälschung ge-

wesen sei, sondern tatsächlich „weit über

90 Prozent aller Deutschen damals voll

hinter Hitler“ gestanden hätten. „Es

herrschte eine total euphorische Stim-

mung. Wir waren wieder wer!“

Dieses Hochgefühl dominierte die

öffentliche und familiäre Stimmung, die

durch die im Herbst 1938 folgende „Sude-

tenkrise“ und die damit verknüpfte Angst

vor einem Krieg nur kurzfristig einge-

trübt wurde. Dass sich Hitler mit dem

Münchener Abkommen erneut durchset-

zen und die Abtretung der sudentendeut-

schen Gebiete an das Deutsche Reich er-

reichen konnte, wird die Euphorie an-

schließend eher verstärkt haben.

„Dann kam am 9. November die Reichs-

kristallnacht“, schrieb Günther Roos in

seinen Lebenserinnerungen, um daran

anschließend seine – mit den oben bereits

wiedergegebenen Berichten Brühler Zeit-

zeugen weitgehend übereinstimmenden –

Erlebnisse am Morgen des 10. November

zu schildern: „Unser Klassenzimmer im

Gymnasium ging zur Friedrichstraße. Da

hörten wir während des Unterrichts von

der gegenüberliegenden Synagoge her

einen Tumult, und etwas später quoll

Rauch hoch. Die Synagoge brannte! Wir

wurden unruhig, aber der Unterricht ging

weiter, als sei nichts Wichtiges geschehen.“

Als die Klasse dann später am Vormittag

Sportunterricht gehabt habe, sei sie „wie

üblich“ in Kolonne zum Stadion an der

Vochemer Straße marschiert. Als die

Gruppe dabei die brennende Synagoge

Prägungen

81