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passierte, habe der vorweg mar-

schierende Studienrat L. folgendes

Lied angestimmt:

Brüder in Zechen und Gruben, /

Brüder ihr hinter dem Pflug, / aus

den Fabriken und Stuben: / Folgt

unsers Banners Zug! / Hitler ist

unser Führer, / ihn lohnt nicht

goldner Sold, / der von den jüdi-

schen Thronen / vor seine Füße

rollt! / Einst kommt der Tag der

Rache, / einmal da werden wir frei!

/ Schaffendes Deutschland erwa-

che! / Brich deine Fesseln entzwei! / Ladet

die blanken Gewehre, / ladet mit Pulver

und Blei! / Schießt auf die Vaterlandsver-

räter, / nieder mit der Judentyrannei!

Allein schon die erschreckende Tat­

sache, dass Günther Roos zufolge die ge-

samte Klasse dieses (in Brühl offenbar in

antisemitischem Sinne nochmals ver-

schärfte)

⁶⁵

Lied kannte und mitsingen

konnte, ist als deutlicher Beleg dafür zu

werten, wie stark solche Inhalte nicht nur

in HJ und Jungvolk, sondern offenbar

auch im schulischen Alltag vermittelt

wurden. Der Englisch, Erdkunde und

Sport unterrichtende Studienrat, der den

diskriminierenden Schmähgesang ange-

stimmt hatte, sollte in der letzten Schul­

phase Günthers Klassenlehrer werden.

Als Günther anschließend aus der

Schule nach Hause zurückkehrte, traf er

dort eher auf voyeuristisches Interesse

als auf Empörung über die Aktionen

gegen die Brühler Juden, mit denen die

Großfamilie Roos-Klug-Charles zuvor ja

durchaus freundnachbarliche Beziehun-

gen unterhalten hatte. Als die Nachrich-

ten über Ausschreitungen im Stadtzent-

rum in der elterlichen Wohnung in der

Kurfürstenstraße eingetroffen seien, so

gesteht Günther Roos rückblickend ein,

habe für ihn sofort festgestanden: „Das

will ich sehen!“ Da sich seine Mutter aber

dagegen gesträubt habe, ihn allein gehen

zu lassen, seien sie, Bruder Gustav und er

„nach langem Quälen“ gemeinsam losge-

zogen. Auf der Kölnstraße habe man da-

bei das völlig demolierte Textilgeschäft

von Hope vorgefunden und auf dem

Marktplatz anschließend beobachtet, wie

„von der HJ das Geschäft von Jülich zer-

deppert“

worden

sei.

Unter

der Leitung des ihm bekannten HJ-Ge-

folgschaftsführers Ernst M. seien „Möbel

und Einrichtungsgegenstände aus dem

Fenster auf die Straße“ befördert worden.

„Plötzlich schrie meine Mutter auf:

‚Um Gottes Willen, da werfen sie ja Fräu-

lein Jülich aus dem Fenster!‘“, woraufhin

sich aber schnell herausgestellt habe,

dass es sich lediglich um eine Schau­

fensterpuppe gehandelt habe. „Meine

Mutter war aber durch diesen Vorfall so

geschockt, dass sie meinen Bruder und

mich am Arm fasste und uns trotz hef­

tigen Protestes nach Hause zerrte. Was

da geschah, das war für sie einfach zu

viel.“

Erschrecken oder gar Mitleid und

Hilfsbereitschaft sucht man – jedenfalls

beim jungen Günther – in dieser Schilde-

rung vergebens. Familie Roos hatte ihre

Verbindungen zu ehemaligen jüdischen

Bekannten wohl längst abgebrochen und

orientierte sich somit an den Vorgaben

des NS-Regimes und dessen gerade in

dieser Hinsicht vielfältigen Propaganda.

Das taten auch die weitaus meisten

Freunde und Nachbarn. Warum, so wird

sich Günther gefragt haben, sollte man

sich außerhalb der so hochgepriesenen

„Volksgemeinschaft“ stellen, in der man

111

110

110 /

Einweihung eines sogenannten

Stürmer-Kastens in der Bonn­

straße in Brühl, 1935. In diesen

öffentlichen Schaukästen konnte

die aktuelle Ausgabe der anti­

semitischen Zeitschrift

Der Stürmer

kostenlos gelesen werden.

111/

Studienrat L., der spätere Klassen­

lehrer von Günther Roos,

stimmte beim Vorbeimarsch an

der brennenden Synagoge am

10. November 1938 einen anti­

semitischen Schmähgesang an.

Prägungen

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