Ein damals zehnjähriger Brühler Gymnasiast beobachtete
mit seinen Klassenkameraden irritiert das Geschehen an der
Synagoge. Er wisse noch genau, so erzählte er 1987, dass der Leh-
rer, der an diesem Morgen Deutschunterricht erteilt habe, nie
von „Juden“, sondern stets abfällig vom „Itzig“ gesprochen und
die Juden angesichts des aktuellen Geschehens „wieder so rich-
tig durch den Kakao gezogen“ habe. Sie könne, so ergänzte eine
1905 geborene Brühlerin, rückblickend nicht begreifen, „dass
sich keiner dagegen gewehrt“ habe, aber die Bevölkerung sei
einfach zu ängstlich gewesen – eine Sichtweise, die von einer
damals 38-jährigen Zeitzeugin bestätigt wurde: „Ich bin bei
meinen Eltern gewesen und habe noch auf der Straße gesagt:
‚Was für eine Schweinerei!‘ Ich bin dann nach Hause gegangen
und hatte Angst, auch weil ich das auf der Straße gesagt hatte.
Ich war so verschreckt, ich habe gedacht: ‚Was mag da jetzt
kommen? Jetzt kommen die mich auch holen.‘“ Vor
lauter Angst habe sie sich daher in ihrer Wohnung
eingeschlossen.
Für einen 1920 geborenen Beobachter stellten die
Erlebnisse des 10. November 1938 in seiner Heimat-
stadt rückblickend den „Wendepunkt“ in seiner poli-
tischen Einstellung dar. „Da stand ein Brühler, den
ich kannte, der exerzierte mit Juden, die ich auch alle
kannte, die also in meinem Alter waren, etwas älter
oder auch jünger, mit denen man groß geworden ist,
mit denen exerzierte er da in den Scherben herum.“
Dieses Szenario sei für ihn derartig menschenun-
würdig gewesen, dass er hinsichtlich seiner Zustim-
mung zum NS-Regime gedacht habe: „Jetzt ist Ende.“
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Brand der Synagoge in Brühl,
November 1938: Die Feuer
wehr schützt lediglich das
Nachbarhaus und die Brühler
Bevölkerung beobachtet das
brutale Schauspiel.
Die Kleinstadt
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