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„Heute drängt es mich einfach dazu,

zu schreiben. Vor einem Jahr, wie anders

war es da! Da war ich als frischgebackener

Offizier auf der Fahrt in den Urlaub. In

mir himmelstürmende Ideen, brennend

vor Idealismus und noch alles von der

Welt erwartend. Und heute? Zu Gott habe

ich gefleht und gestammelt, weil ich nicht

mehr weiter weiß. Die Gefangenschaft,

das Warten und der Mangel an Beschäfti-

gung, nach der es einen drängt, das bohrt

an meinem Innern. Darüber bin ich mir

jedoch bewusst, sie, die Gefangenschaft,

hat an meiner Entwicklung den Rest voll-

bracht. Not, bitterste Not, habe ich ken-

nengelernt und konnte hierbei die Men-

schen beobachten und habe Menschen

achten und verachten gelernt. Ich habe

gesehen und erlebt, wie Menschen in bei-

ßendem Hunger Haltung bewahren und

wie sie auf der anderen Seite Charakter

und Ehre, Anstand und Bildung vergessen

und nur noch Tier sind. Und das unter

‚Offizieren‘, unter der Auslese! Erstere wa-

ren selten, jene viele, ach, so unendlich

traurig viele! Nun warte ich auf ein neues

Leben. Ein Leben voll Lernen und Arbeit,

ein Leben genügsam und anständig. Gott,

der Allmächtige, helfe mir zu diesem Ziel.

Gott, gib, dass bald der Tag der Erfüllung

kommt, dass mich die Heimat, die ewige

Mutter, in ihre Arme nehmen kann. Gott,

lass mich hier nicht untergehen! Führe

mich heim, ehe ich zerbreche! Gott, hilf!“

Ein verzweifelter und heimwehkranker

junger Mann auf der Suche nach Orien-

tierung, aber immer auch noch stark

beeinflusst von zweifelhaft gewordenen

Begriffen wie „Ehre“ oder „Auslese“. Vor

allem aber zeigen die Tagebucheinträge

im Sommer 1945 Günther Roos nach län-

gerer Zeit wieder auf der intensiven Suche

nach Gott, wobei jedoch offenbleiben

muss, ob er in dieser Situation den nach

eigenen Vorstellungen kreierten „deut-

schen“ oder den christlichen Gott im

Auge hatte. Das galt auch für den sehr

ähnlich gehaltenen Eintrag vom 17. August:

„Ich vertraue auf meinen guten Stern und

auf Gott. Er wird mich schon richtig führen.

Gott lass bald den Tag der Freiheit, der

Rückkehr in die geliebte Heimat kommen

und helfe mir, dass bald das ‚Leben‘ be-

ginnt!“ Weitere vier Tage später ergänzte

er: „Muss das schön sein, für seine Zu-

kunft zu arbeiten, einem lohnenden Ziel

entgegenzusteuern! Und in der Arbeit

Frieden, Ruhe und Erfüllung zu finden.“

Zurück in Brühl

Die herbeigesehnte Rückkehr nach Hause

kam überraschend schnell. Am 29. August

wurde Günther Roos aus amerikanischer

Kriegsgefangenschaft entlassen, in Goch

von der britischen Militärregierung über-

nommen, ärztlich untersucht und nach

Bonn weitergeleitet. Hier, im Hofgarten,

erfolgte am 4. September der entscheiden-

de Schritt: „Frei! Endlich wieder frei! Das

neue Leben hat begonnen. Vorgestern, am

4.9. gegen 17 Uhr kam ich in Brühl an.“

Nach seiner Ankunft gab es zunächst

eine Irritation: „‚Bahnhof Brühl-Nord‘.

Raus aus dem Zug. Die Kaiserstraße her-

unter. Ich gehe um die Ecke, stehe vor

dem Haus und starre nach oben. Die

Fenster mit Brettern vernagelt und leer!

Ich bin wie erschlagen. Was ist denn hier

in Brühl nur los?“ Die Dinge klärten sich

schnell und Günther erfuhr, dass seine

Eltern, von denen er seit März nichts

mehr gehört hatte, vorübergehend in einer

anderen Wohnung untergekommen waren.

„Also, Vater ist auch hier! Gott sei Dank!

Auf zur Schützenstraße. Ich schelle. Vater

kommt, kurze Begrüßung. ‚Jünni, bist

du da?‘ – ‚Ja, da bin ich.‘ Aus. Gott sei

Dank keine Szene. Wir gehen herauf, die

Uniform aus, gewaschen, Zivil an und

dann gegessen. Endlich einmal nicht die

Bissen vorgezählt. Mutter ist in Schwa-

dorf hamstern und kommt erst spät wie-

der. Die Begrüßung ist etwas aufregender.

Abends feudales Abendessen. Einfach

märchenhaft. Ohne Nummer, ohne Nach-

schlag, ich werde sogar satt!“ Den 5. Sep-

tember, seinen ersten Brühler „Friedens-

tag“ seit mehr als sechs Jahren, empfand

Günther Roos dann als „Tag der Mensch-

werdung“: „Arbeitsamt, Bürgermeister-

amt, Wirtschaftsamt. Nachmittags baden

und Haare schneiden lassen. Nun bin ich

1945: „Man muss schon fanatisch sein, und das bin ich ja, Gott sei Dank.“

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1945