Volkssturm
Bereits am 17. September hatte Propagandaminister Goebbels über den „Volkskrieg um
unser Leben“ geschrieben, der „eine Sache unseres ganzen Volkes“ sei: „Die Schwachen
mögen dahinsinken, aber die Starken bleiben.“ Acht Tage später, am 25. September, wurde
dann durch einen Erlass Hitlers der „Volkssturm“ ins Leben gerufen und damit die Erfassung
aller noch nicht einberufenen waffenfähigen Männer zwischen 16 und 60 Jahren zur Ver
teidigung des „Heimatbodens“ angeordnet. Sie sollten „zur Verstärkung der aktiven Kräfte
unserer Wehrmacht und insbesondere zur Führung eines unerbittlichen Kampfes überall
dort, wo der Feind den deutschen Boden betreten will“, eingesetzt werden.
Gemeint waren damit alte Männer und Jugendliche, die ohne Ausbildung mit völlig unzu
reichender Ausrüstung in zufällig zusammengestellten Kampfgruppen dem hochgerüsteten
und entsprechend überlegenen Feind entgegentreten sollten. Nach wenigen Stunden
improvisierter „Schulung“ erhielten die „Volkssturm“-Angehörigen eine entsprechende Arm
binde und ein Soldbuch, wodurch sie zu regulären Soldaten der Wehrmacht wurden.
Alle verfügbaren Greise, Kranken und Kinder sollten mit alten Gewehren und verrosteten
Panzerfäusten ohne Munition in den Krieg ziehen und ihn zugunsten Deutschlands
entscheiden! Betroffen waren von dieser Zwangsmaßnahme immerhin rund sechs Millionen
Männer und Jugendliche, deren Kampfkraft minimal war und blieb.
Viele der Volkssturmmänner und -kinder verloren insbesondere im Osten beim Kampf gegen
die sowjetische Armee ihr Leben. Nach Kriegsende galten 175000 von ihnen als vermisst.
Im Westen zeichnete sich der Volkssturm dagegen eher durch eine immense Zahl von Deser
teuren aus, die angesichts der nahenden alliierten Truppen ungeschoren untertauchten.
natürlich auch die von markigen Worten
begleitete „Ausrufung des Volkssturms“
ausweislich seines Tagebucheintrags vom
19. Oktober mit Begeisterung auf: „Alles,
was Waffen tragen kann, wenn es Not tut,
auch die Frauen, werden die Heimat vertei
digen. Ein totaler Krieg! Eine wahrhaft
große, überwältigende Zeit. Wir werden
siegen, denn dieser Glaube ist nicht zu ver
nichten. Wenn auch alle Grenzen berannt
werden, am Ende sind wir doch oben.“
Als dann am 26. Oktober der Marsch
befehl Richtung Front in Kemme eintraf,
kannte Günthers Pathos endgültig keine
Grenzen mehr. „Morgen geht es los. Der
Krieg beginnt“, kommentierte er die Auf
gabe der als so angenehm empfundenen
Unterkunft beim Kreisbauernführer. Ihm
sei, „als bräche ich sämtliche Brücken
hinter mir ab, als mache ich Schluss mit
dem Leben“. Er sei natürlich aufgeregt
und „das Herz klopft bis zum Hals“, aber
Angst? Sein „Instinkt“ und Gefühl wehre
sich zwar gegen Krieg und Sterben, er
selbst aber freue sich darauf, „meinem
Vaterland dienen zu können“: „Und so
ziehen wir froh hinaus.“ Mit einem „Bat
terieabend mit großer Sauferei“, so war
sich Günther sicher, würde „Abschied ge
nommen vom bisherigen Leben“ und ein
neues werde beginnen. Dieser Wechsel
fiel auch mit dem Abschluss einer Kladde
für seine Aufzeichnungen zusammen:
„Und damit möchte ich auch dieses Buch
beschließen, das mit dem Unteroffizier
begann, der vor dem Abmarsch nach
Russland ein schönes, großes Erlebnis
hatte, bis zu dem jungen Leutnant, der
1944: „Der Endsieg ist greifbar nahe gerückt!!“
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1944