400-Seelen-Dörfchen über den weiteren
deutschen Vormarsch erhielt, hätten aber
immerhin einen „Siegesrausch“ verur
sacht: „Wir schlossen Wetten ab, wann
wir wieder in Paris einmarschieren wür
den.“ Erst lange nach dem Krieg habe er
dann Näheres über die erzwungene Un
tätigkeit erfahren. Sie sei das Werk des
Regimentskommandeurs Oberst Krause
und dessen Stabsoffiziers gewesen. Weil
beide klar erkannt gehabt hätten, dass der
Krieg verloren sei, hätten sie ihre Haupt
aufgabe darin gesehen, das Regiment
möglichst aus den grausamen Kämpfen
herauszuhalten, was schließlich auch
weitgehend gelungen sei.
Hieraus resultierte, wie Günther Roos
seine Empfindungen später beschrieb, ein
„merkwürdiger Krieg“. Er habe sich in
den ruhigen Preischeider Tagen mit deut
scher Geschichte, dem Lernen von etwas
Französisch und der Lektüre von Rosen
bergs
Mythus des 20. Jahrhundert
be
schäftigt, fasste er den Verlauf dieser
Tage zusammen. „Hier fand ich aber auch
nicht das, was ich suchte. So verging die
Zeit. Im Inneren waren wir zufrieden,
noch ein so ruhiges Leben führen zu kön
nen, aber täglich redeten wir uns vor,
dass wir uns auf den Einsatz freuten, die
Ruhe verfluchten und den Tag der Be
währung herbeisehnten, bis wir es selbst
glaubten und hiervon überzeugt waren.
Langsam kam Weihnachten.“ – Besser
lässt sich die täglich größer werdende
Diskrepanz zwischen propagandistisch
erzeugter Gläubigkeit und der realen Ent
wicklung kaum auf den Punkt bringen.
Man verlebte in Preischeid inmitten
der tobenden Ardennenoffensive „in den
letzten Tagen des Jahres noch eine schö
ne Zeit“. Nachdem Günther am Nachmit
tag des 24. Dezember eine organisatori
sche Aufgabe erledigt hatte, kam er ins
Preischeider Bauernhäuschen, das er sich
zwischenzeitlich als „Junggesellenheim“
eingerichtet hatte, zurück, badete und
feierte dann den Heiligabend. „Nach dem
Bad machte ich einen Spaziergang über
die Höhe“, schrieb er seiner Mutter am
ersten Weihnachtstag. „Vor mir lag die
Eifel mit ihren weißen Tannenwäldern,
ein strahlend blauer Himmel über dem
Land. Weihnachten!“ Über die Weih
nachtsfeier der Batterie berichtete er, dass
man nach der Bescherung „einige Lieder“
gesungen und die Goebbels-Rede im
Rundfunk angehört habe. „Anschließend
saß ich dann noch bis Mitternacht mit
den Leuten in den Quartieren zusammen.
Um 12 Uhr kam der Chef und Leutnant
Gerlach in meine Wohnung, wo wir noch
die gute Flasche [Wein] von zu Hause wie
versprochen tranken. Das war mein Weih
nachten.“
Laut Tagebuch verlief der Abend hin
gegen weniger gemeinschaftlich: „Wir sa
ßen alle friedlich mit der ganzen Einheit
zusammen, sangen einige Lieder, der
Chef hielt eine unpassende Rede, und
dann erzählten wir bei etwas Wein von
zu Hause und von früher. Anschließend
war beim Chef ein fantastisches Abend
essen, und dann soffen wir noch etwas.
Dann ging ich noch einmal zum Batterie
trupp und legte mich dann, ehe ich den
Moralischen bekommen konnte, ins Bett.“
Günthers Stimmung war also offenbar
stark von Wehmut geprägt: „Weihnach
ten! Was alles liegt in diesemWort! Friede,
Ruhe, Heimat und Kindheit. Man sieht,
wie man als Kind ungeduldig die Stunden
bis zur Bescherung zählte, wie man stau
nend vor dem Baum stand, die Geschenke
betrachtet, wie man dann abends in die
Christmette ging. All das steht wieder auf
bei demWort Weihnachten.“
Der Alltag beim Militär gestaltete sich
im Vergleich zu diesen sentimentalen
Erinnerungen hingegen völlig anders.
Auch am ersten Weihnachtstag ergab sich
Günther mit einigen anderen Offizieren
„dem stillen Suff“, der auch die folgenden
Tage und den Jahreswechsel in erheb
lichem Maße mitbestimmte: „Schön fei
erten wir auch Neujahr. Es begann mit ei
nem herrlichen Hühneressen beim Chef.
Dann ging das große Besäufnis los. Alles
war total blau. […] Dann startete ich zu
einer Rundreise zu den einzelnen Staffeln.
Morgens um vier Uhr landete ich bei der
II. Batterie. Hier bot sich ein Bild des
1944: „Der Endsieg ist greifbar nahe gerückt!!“
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