gehe vollkommen im Dienst auf. Ich
glaube, ich passe nicht mehr ins Ziville-
ben hinein. Würde mich am liebsten heute
am Tage verpflichten, und jetzt erst recht.
Ich fühle mich Gustav gegenüber ver-
pflichtet. Er stellte sich Deutschland ganz
zu Verfügung, und soll ich hinter ihm
zurückstehen? Neujahr 1939/40 verspra-
chen wir uns, immer zusammenzuhalten,
komme, was mag. So wollte ich auch Ar-
chitekt werden, weil er es wurde. Jetzt
weiß ich aber, dass er mir nur vorlebte,
Soldat zu sein. Ich warte jetzt nur noch
auf die Stunde, wo er mir seine Erfahrun-
gen und Erlebnisse erzählen kann, um
mich dann endgültig zu entscheiden.“
Am 6. Dezember ergänzte Günther in
einem weiteren Brief an die Mutter:
„Gustav ist mit seinem bedingungslosen
Einsatz ewig mein Vorbild.“
Der Verlust des Bruders und die an-
schließende Reaktion der Eltern stürzten
Günther zugleich in eine tiefe Sinnkrise.
Ohne ihn darüber zu informieren, hatte
Toni Roos am 2. Dezember beim Wehr
bezirkskommando in Köln den Antrag ge-
stellt, seinen jüngeren Sohn aufgrund des
Todes von Gustav „aus der kämpfenden
Truppe“ zurückzuziehen. Gleichzeitig riet
er Günther selbst in einem Brief „dringend“
vom Offiziersberuf ab, „indem er mir ein-
mal den Offizier mit seiner Subordination
dem freien Architekten gegenüberhielt“.
Zudem erinnerte der Vater seinen Sohn
„an die Pflicht, als letzter Roos das Blut zu
erhalten“ und appellierte damit auch an
dessen nationalsozialistisch geprägtes Be-
wusstsein: „Die heilige Verpflichtung mei-
nem Blut gegenüber ist mir als Nationalso-
zialist mehr als einleuchtend, denn der
Soldat ist jederzeit gefährdet.“ In seinem Ta-
gebucheintrag vom 9. Dezember zeigte sich
Günther zunächst ratlos: „Er [der Vater]
wühlt hierdurch wieder alte Fragen und
Zweifel in mir auf, die mich schon immer
plagen. Was soll ich machen?“ Zu diesem
Zeitpunkt glaubte Günther nämlich nach
wie vor nicht, ein guter Architekt werden
zu können: „Mir fehlt das Schöpferische,
das Gustav hatte.“ Im Offiziersberuf hin-
gegen sah er die Möglichkeit, seinem „Ide-
alismus“ und seiner „fixen Idee“ gerecht zu
werden: „Ich will nun einmal später etwas
Großes werden und Menschen erziehen.“
Hierin erblickte Günther zu diesem Zeit-
punkt noch „eine schöne und lohnende
Aufgabe“. Noch also überwog, wie er hin-
sichtlich der im Tagebuch an den Tag ge-
legten „absoluten Offenheit“ betonte, sein
„verfluchter Idealismus und Machthunger“.
„Ich muss mir die Sache aber genau über
legen und nichts überstürzen.“
Obwohl er auch in den folgenden Ta-
gen weiterhin keinen Zweifel daran ließ,
„Großes leisten und dabei Großes werden“
zu wollen, nagten der nun wahrschein
licher gewordene Tod Gustavs und die
Einwände der Eltern so stark an ihm,
dass er sich bereits am 18. Dezember
grundlegend umorientiert hatte: „Heute
drängt es mich dazu, hier zu schreiben,
denn alles ist in mir umgeworfen. Ja, den
berufsmäßigen Offizier habe ich aufgege-
ben, und der Architekt ist zum ersten
Mal vor mir erstanden. Gestern Morgen
kam es mir wie eine Erleuchtung, dass
ich meinen Beruf erkannte. Ich glaube,
dass mein Fehler in den bisherigen Über-
legungen darin lag, dass ich den Offizier
im Krieg und nicht im Frieden sah. Jetzt
habe ich den einen Wunsch, nur zu schaf-
fen, zu zeichnen, zu arbeiten, zu studieren.
Herrgott, wie muss das schön sein!!! Hof-
fentlich bleibt dieser Entschluss endgültig.
Bauen, schöpfen, Neues in die Welt setzen.
Gustavs Erbe fortsetzen!“
Und einen Tag später hieß es: „Ich kom-
me noch nicht über den plötzlichen Wan-
del in mir [hinweg]. Am Sonntag glaubte
ich noch, zum Architekten nicht zu taugen,
und jetzt drängt mich alles zu diesem Be-
ruf. Zum ersten Mal ist mir die Zukunft
hell, wo ich jetzt weiß, was ich werden will,
und mit Begeisterung an den zukünftigen
Beruf denke. Herrgott, muss das Studium
schön sein. Lernen und später schaffen!
Neues bilden!! Ich platze noch!!!“
Trotz solcher plötzlichen Euphorie
nahm das so ereignisreiche Jahr 1942 für
Günther ein trauriges Ende. Kurz vor Weih-
nachten bilanzierte er: „Armer, armer Bru-
der. Wie vermisse ich dich. Wie vermisse
1942: „Macht will ich haben! Alle sollen mich lieben oder fürchten.“
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