Wehrmacht und insbesondere durch den
Eid auf „seinen Führer“ Grundlegendes
verändert: „Dass es einen Gott gibt, bleibt
bestehen. Jedoch bin ich nur noch
Deutschland verantwortlich. Ob dieser
Gott das Gleiche will, oder ob er
Deutschland ist, ist mir gleichgültig. Es
gibt aber äußere Umstände, eine Macht,
die die Dinge herbeiführt, die ich nicht
erwartet habe und die alles umwerfen.
An die gleiche Macht kann ich mich aber
auch in der Stunde der größten Not
um Hilfe wenden, wenn ich aus eigener
Kraft nicht mehr weiterkann. Diese
Macht ist für mich Gott.“ Offenbar war
sich Günther bewusst, wie diffus sein
diesbezügliches Gedankengebäude, in
dem er so weit ging, „Deutschland“ mit
„Gott“ gleichzusetzen, noch immer war.
„Wie lange ich an dieser Weltanschauung
hänge“, notierte er daher folgerichtig,
wisse er noch nicht, „da ich immer noch
suche“. Sein politisches Weltbild und sei-
ne tiefe Verhaftung in der NS-Ideologie
blieben von solchem Tasten und Zweifeln
aber völlig unbehelligt. „Eines aber wird
bestehen bleiben: Mein Kampf wider die
katholische Kirche und der Glaube an
Deutschland!“
In jedem Fall fühlte sich Günther Roos
nun auch endgültig erwachsen, und neben
Führergläubigkeit, nationalem Bewusst-
sein und Gottessuche war sein Denken
vorrangig von Erwägungen über seine be-
rufliche Zukunft bestimmt. „Nun will ich
mal über meine Zukunft schreiben“, no-
tierte er am 5. November. Kriegsoffiziers-
bewerber wollte er nach wie vor „auf jeden
Fall“ werden. Alles andere war aber noch
völlig offen. „Dann heißt es abwarten. Ar-
chitekt oder Offizier? Scheiße ist beides.
Es fragt sich nur, ob mein Idealismus für
Deutschland erhalten bleibt oder ob ich
das Zivilleben vorziehe.“ Unabhängig von
solchen Fragen hatte in seinen Augen ein
neuer Lebensabschnitt begonnen: „Das
steht aber fest: Das gemütliche und sor-
genlose Leben ist vorüber. Arbeit und Sor-
ge stehen vor mir. Das ist zwar traurig,
aber wahr. Nie kehrst du wieder, schöne
Zeit, so frei und ungebunden!“
Der Tod des Bruders
Am 24. November tätigte Günther Roos
einen irritierend-widersprüchlichen Ta-
gebucheintrag: Einerseits betonte er, wie
„prima“ es ihm bei seiner Einheit gefalle
und dass er glaube, „dass der Kommiss
für mich meine Lebensaufgabe“ darstelle.
Andererseits berichtete er im gleichen
Eintrag darüber, dass etwas „Schreckli-
ches“ passiert sei: Rudi, der ihm wohlge-
sinnte Stubenälteste, hatte nämlich seine
Abordnung an die Ostfront bekommen.
Allein diese beiden Mitteilungen sind ein
vielsagender Beleg für die Lage, in der
sich Günther und viele andere Alters
genossen befunden haben dürften. Man
hatte gelernt, ohne kritische Nachfragen
an „Führer, Volk und Vaterland“ und na-
türlich an den deutschen Sieg zu glauben,
wusste aber zugleich, was es bedeutete,
als Soldat den Weg nach Osten antreten
zu müssen.
Gerade Günther war über die zuse-
hends aussichtslose Lage an der Ostfront
durch die Briefe seines Bruders recht gut
informiert, aber dennoch nicht in der
Lage, hieraus die – aus heutiger Sicht –
logischen Schlussfolgerungen zu ziehen.
Der Sieg war ihm nach wie vor gewiss,
weil „Deutschland“ eben siegen musste.
Vor allem ging es bei den meisten Solda-
ten seines Alters aber um eines: Pflicht
erfüllung. Selbst der desillusionierte und
von Aufstiegsambitionen weitgehend
freie Gustav schrieb hierzu, als ihm von
seinem Vorgesetzten die Bewerbung als
Offiziersanwärter nahegelegt wurde: „Ich
habe mich deshalb dafür entschieden,
weil es meine Pflicht ist, so viel zu geben
und so viel zu werden, wie mir möglich
ist.“ Außerdem riet ihm gerade der weit-
aus ambitioniertere Bruder Günther zu
diesem Schritt, den Gustav dann tätigte,
obwohl ihm die damit verknüpfte akute
Lebensgefahr klar vor Augen stand.
In der Nacht vom 29. zum 30. Oktober
kehrte Gustav dann von einem Einsatz
an der vordersten Front nicht mehr zu-
rück. „Er war erst wenige Tage in der
Kompanie, aber wir haben unseren Ka-
meraden doch lieben und schätzen ge-
1942: „Macht will ich haben! Alle sollen mich lieben oder fürchten.“
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