von Weihnachten bis Ostern fortkommen. Wenn wir in ein
Wintersportgebiet kommen, wäre ich zufrieden.“ Doch noch am
gleichen Tag wurde entschieden: „Aber was macht Mutter?
Dann hat sie keinen mehr zu Hause. Also werde ich hierbleiben.“
Immerhin blieb Günther eine verlockende Perspektive: „In ei-
nem halben Jahr werde ich ja hier das Fähnlein übernehmen.“
Tatsächlich sollte sich der nicht ganz freiwillige Verzicht mit
Blick auf seine Jungvolkkarriere alsbald als glückliche Fügung
erweisen.
Zunächst waren es jedoch die Ereignisse in Russland, die den
nunmehr 17-Jährigen zwischen Begeisterung und Sorge um Bru-
der Gustav schwanken ließen. Zugleich entwickelte er sich – be-
einflusst durch die Briefe von Vater Toni – wohl eher unbewusst,
aber doch sehr nachhaltig zu einem ausgeprägten Antisemiten
und „Herrenmenschen“. Denn dass es sich bei der Auseinander-
setzung mit der Sowjetunion in erster Linie um einen „Weltan-
schauungskrieg“ handelte, kam in der innerfamiliären Kommu-
nikation zunehmend deutlich zum Ausdruck.
Anton Roos war im Juni 1941 von der nordfranzösischen At-
lantikküste, wo er als Angestellter der „Organisation Todt“ nach
eigenem Bekunden ein „herrliches Leben“ geführt hatte, nach
Osten versetzt worden. Nach drei Wochen im mondänen polni-
schen Kurort Zakopane folgte er mit seiner Baueinheit der deut-
schen Wehrmacht in die Ukraine und berichtete hierüber in
langen Briefen an Frau und Sohn in Brühl. Was er aus Polen und
der Ukraine schrieb, war in seiner menschenverachtenden Art
so erschreckend wie abstoßend, dürfte aber eine tiefe Wirkung
auf den zum Vater aufblickenden Sohn nicht verfehlt haben.
Hierin kam ein glühender, mit „Herrenmenschentum“ gepaarter
Antisemitismus zum Ausdruck, wobei Anton Roos, der in den
1920er-Jahren noch gemeinsam mit Brühler Juden in einem
Klub gekegelt hatte, auch nicht davor zurückschreckte, vor Frau
und Sohn die an Juden verübten Massenhinrichtungen in all ih-
rer Brutalität zu schildern. Zugleich wurde die vor-
gebliche Überlegenheit der „arischen Rasse“ über die
polnische und russische Bevölkerung in einer Spra-
che zum Ausdruck gebracht, die in ihrem Zynismus
und ihrer Unmenschlichkeit kaum zu überbieten ist.
Dieses zwar ungerechtfertigte, aber in vollen Zügen
ausgelebte Überlegenheitsgefühl, das sein Vater in
seinen Briefen unverblümt zum Ausdruck brachte,
faszinierte Günther, beeinflusste ihn nachhaltig und
dürfte sich als Rechtfertigung für den von deutscher
Seite initiierten zügellosen Vernichtungskrieg in sei-
nem Denken verankert haben. Auch die immer wie-
der vorkommenden Spitzen gegen die Vertreter der
katholischen Kirche in Brühl – in den Briefen als
„Himmelswanzen“ verunglimpft – wirkten auf den
Jugendlichen und sollten auch bei ihm mit kurzer
zeitlicher Verzögerung zu einem ausgeprägten Anti-
katholizismus führen.
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Zeichnungen des ambitionierten
Hobbymalers Anton Roos aus der
Ukraine, September / Oktober 1941
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Anton Roos (2. v. r.) in Zakopane,
Juni 1941. Der Ort war bereits damals
touristisch geprägt, der „Bär“ in
der Mitte könnte daher als Attraktion
für Besucher gedient haben.
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1941: „Ein neues, starkes Volk wächst heran. Und ich bin dabei!“
1941