„denn die Leute“ – also die sowjetische Regierung – könnten
„nur etwas verdienen, wenn sie mit uns halten“. In dieser Mei-
nung wurde er auch von Bruder Gustav und Vater Toni be-
stärkt, die sich – zu diesem Zeitpunkt bereits beide im Osten
stationiert – ähnlich äußerten. „An einen Krieg gegen Russland
kann ich gar nicht glauben“, hatte Gustav am 4. Juni an Mutter
und Bruder in Brühl geschrieben. „Wir müssen abwarten!“ An-
ton Roos berief sich in einem Brief aus Krakau vier Tage später
sogar auf eine hochrangige Quelle. Er war in einem Rasthaus
an der Autobahn zufällig mit Generalfeldmarschall Walter von
Reichenau zusammengetroffen und hatte mit ihm einen Kaffee
getrunken. „Dann unterhielten wir uns noch etwas über Politik
und waren uns darüber einig, dass wir mit Russland in einem
guten Verhältnis ständen und ein Krieg ausgeschlossen sei.“
Trotz solcher gesichert erscheinender Mitteilungen blieb die
Lage unklar, wobei zu diesem Zeitpunkt „Russland“ zwar das
zentrale, jedoch nicht das einzige Thema blieb, dass Günther
beschäftigte. Der Alltag in Schule, Jungvolk und Freizeit verlief
in weithin bekannten Bahnen; hinzu kamen aber der sich ver-
schärfende Bombenkrieg und die allgemeine Unsicherheit hin-
sichtlich der Kriegslage, woraus ein Zustand angespannten
Denkens und Wartens resultierte, der im Tagebucheintrag vom
21. Juni 1941 in verdichteter Form zum Ausdruck kam: „Habe
mir morgens in der Schule freigefragt und bin dann zur Beerdi-
gung der Opfer des Fliegerangriffs gegangen. An der
Karlshalle waren sie aufgebahrt. Es war eine riesige
Beerdigung. Ganz Brühl war auf den Beinen. War
dann mit der Schule schwimmen. Nachmittags hat-
te ich um 3 Uhr Antreten. Um 5 Uhr bin ich
schwimmen gegangen. Habe abends einen Brief an
Gustav geschrieben. Nachts war Fliegeralarm. Im
Luftschutzkeller sagte uns Herr Welter, er wüsste
ganz sicher, dass die UdSSR nächste Woche dem
Dreierpakt beitreten würde. Hoffentlich.“
Die Hoffnung erwies sich jedoch bereits über
Nacht als vergeblich. „Heute wurde ich von Mutter
mit einer schrecklichen Nachricht geweckt, dass ich
zuerst glaubte, es sei ein schlechter Witz oder ein
Trick, um mich aus dem Bett zu holen“, heißt es un-
ter dem 22. Juni. „Aber es stimmte wirklich! Krieg!
Krieg mit Russland!!! Diese Nachricht kam so uner-
wartet und ist so schrecklich, dass mir zuerst der
Atem wegblieb. Jetzt am Abend kann ich es immer noch nicht
fassen. Nie, nie hätte ich geglaubt, dass Russland gegen uns
kämpfen würde. Sie können doch bloß bei uns etwas verdienen.
‚Aber der Hass des Bolschewismus gegen das Dritte Reich war
größer als alle politische Einsicht‘, so heißt es in dem Aufruf des
Führers. Deutschland, du hast einen verdammt harten Kampf
zu führen. Und Gustav ist mitten in der Scheiße drin. Mutter
wird noch wahnsinnig, wenn ihm etwas zustoßen sollte. Hof-
fentlich, hoffentlich passiert ihm nur ja nichts. Gott, beschütze
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Gustav Roos (mittlere
Reihe, rechts) in einem
Waggon auf dem Weg
nach Osten und beim
Zwischenhalt im Bahn-
hof von Liegnitz (2. v. l.)
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1941: „Ein neues, starkes Volk wächst heran. Und ich bin dabei!“
1941