Kriegsbeginn
Natürlich rückte die sich zuspitzende Lage
in Polen auch mit jedem Tag stärker in
Günthers Wahrnehmung. Am Abend des
31. August saß er gemeinsam mit seiner
Mutter bis Mitternacht gebannt vor dem
Radiogerät und lauschte den Nachrichten.
„Der Führer hat einen Vorschlag an Polen
gestellt. Er ist abgelehnt worden. Ob es
Krieg gibt?“ Mit diesen Gedanken ging er
zu Bett, und als er aufwachte, hatte der
Zweite Weltkrieg begonnen: „Habe mor-
gens die große Führerrede gehört. Es ist
Krieg mit Polen. Der Führer ist der erste
Soldat des Volkes. Er sagte, er gehe an die
Front. Sein erster Nachfolger soll Göring
sein, der zweite Rudolf Hess. Es lebe
Deutschland!“ Die Ausweitung des Krieges
kommentierte Günther Roos am 3. Sep-
tember dann so: „Nachdem England uns
ein Ultimatum stellte, das wir natürlich
nicht annahmen, erklärten uns England
und Frankreich den Krieg. Diese Schweine!“
„Es gab eine Kriegsbegeisterung in mei-
ner Generation. Bei uns Begeisterung, bei
den älteren Leuten Bedrückung.“ So beur-
teilte Günther Roos 2012 die Stimmung
bei Kriegsbeginn rückblickend. Endlich
habe die Ungewissheit ein Ende gehabt,
hatte er bereits 23 Jahre zuvor zu Papier
gebracht. „Der Krieg war da.“ Bereits am
Nachmittag des 1. September seien die
ersten
Sondermeldungen
„vom Vormarsch
unserer siegreichen Truppen“ ausgestrahlt
worden, und im Schwimmbad habe er
mit seinen Freunden darüber diskutiert,
„ob der Krieg in sechs Wochen oder in
drei Monaten beendet sei“. Dabei zeigte
sich, wie erfolgreich die permanente NS-
Propaganda gerade in der jungen Genera-
tion gewirkt hatte. „In diesem Krieg war
das Recht ganz klar auf unserer Seite. Nur
der Neid auf die Erstarkung Deutschlands
trieb England und Frankreich dazu, uns
den Krieg zu erklären“, umriss er die da-
malige Stimmungslage und skizzierte zu-
gleich sein damals so empfundenes per-
sönliches Dilemma: „Nun gut, wenn sie
Krieg haben wollten, so sollten sie ihn ha-
ben. Das Ärgerliche daran war nur der
Umstand, dass jetzt Europa und die Welt
für die nächsten tausend Jahre neu ge-
ordnet wurden, und ich war zu jung, um
dabei mitzuwirken!“
Verfolgen ließ sich das Kriegsgesche-
hen aufgrund der permanenten Berichter-
stattung in Presse, Rundfunk und den
Wochenschauen
sowie durch das genaue
Studium der Wehrmachtsberichte im
Schulunterricht hingegen sehr genau. „Im
Sondermeldungen
Während des Zweiten Weltkriegs unterbrach der „Großdeutsche Rundfunk“ häufig sein Programm,
um in sämtlichen deutschen Radiosendern „Sondermeldungen“ über militärische Erfolge zu ver
künden. Diese Beiträge wurden durch charakteristische Fanfarensignale angekündigt. Während
etwa die 1940 während des Feldzugs gegen Frankreich verwendete Tonfolge dem Lied „Die Wacht
am Rhein“ entlehnt war, orientierte sich die ab Ende Juni 1941 gesendete „Russland-Fanfare“ an
einer Passage aus Franz Liszts „Les Préludes“. Nach der Niederlage von Stalingrad zum Jahres
beginn 1943 wurden keine solchen Sondermeldungen mehr ausgestrahlt. An deren Stelle traten
Durchhalteparolen.
„Heimatfront“
Die „Heimatfront“ war ein Konstrukt der NS-Propaganda, um die angebliche Verbundenheit
zwischen den an der Front kämpfenden Soldaten und den in der Heimat Zurückgebliebenen zu
dokumentieren und zu verstärken. In den Reden Hitlers und der nationalsozialistischen Politiker
spielte der Ausdruck eine große Rolle. Im weiteren Kriegsverlauf wurde der Begriff dann für
den gesamten Arbeitseinsatz in der Heimat übernommen. Das Schlagwort wurde dabei gern im
Zusammenhang mit dem vom NS-Regime beschworenen „totalen Krieg“ mit seinem „Kampf an
allen Fronten“ verwendet.
1939: „Es lebe Deutschland!“
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1939