Bezugsscheinsystem
Noch vor dem Beginn des Krieges wurden mit der „Verordnung zur vorläufigen Sicherstellung
des lebenswichtigen Bedarfs des deutschen Volkes“ am 27. August 1939 Lebensmittel und
Konsumgüter rationiert. Sie waren fortan nur noch bei gleichzeitiger Vorlage von Bezugsscheinen
(v. a. Lebensmittelkarten wie etwa „Brotkarte“, „Fleischkarte“ oder „Milchkarte“), die strikte
Mengenbeschränkungen auswiesen, zu kaufen. Ab November 1939 wurden auch Textilien rationiert
(„Reichskleiderkarte“), später noch Tabak („Raucherkarte“), Fahrradreifen und immer mehr Gegen-
stände des täglichen Bedarfs.
Dieses System sollte den Verbrauch von Waren senken, um die zu erwartenden kriegsbedingten
Engpässe und Versorgungsschwankungen auszugleichen und zugleich Rohstoffe für die Rüstungs-
produktion freizumachen. Außerdem sollte so auch die Kaufkraft der deutschen Bevölkerung
gemindert werden, um die dadurch angesparten Gelder zur Finanzierung des Krieges verwenden
zu können.
Die Höhe der Rationen richtete sich nach Leistungskriterien, aber auch nach sozialen Gesichts-
punkten: Soldaten, Schwer- und Schwerstarbeitende erhielten ebenso Zulagen wie Familien,
Schwangere oder Kleinkinder. Insgesamt war und blieb die Versorgung der deutschen Bevölke-
rung relativ gut – gerade im Vergleich zum Ersten Weltkrieg, in dessen Verlauf Versorgungskrisen
die Kriegsbereitschaft der Bevölkerung geschwächt hatten. Eine solche Entwicklung versuchte
das NS-Regime um jeden Preis zu verhindern.
Das wurde nicht zuletzt durch eine – insbesondere in Osteuropa brutal durchgeführte –
rücksichtslose Plünderung der von der Wehrmacht besetzten Länder zulasten der einheimischen
Bevölkerungen ermöglicht.
nach Kierberg und Vochem – bestand.
Auch Altmaterialsammlungen und die
Verteilung oder Abrechnung von Marken
des neu eingeführten Bezugsschein
systems bestimmten ausweislich seines
Tagebuchs nun immer häufiger seinen
Jungvolkalltag. Hinzu kamen Sammlun-
gen für das Winterhilfswerk sowie der
übliche Dienst in Form von Exerzieren,
Werbe- und Ausmärschen oder Gelände-
spielen. Angesichts der steigenden Anfor-
derungen trat neben den Mittwoch und
Samstag nun auch zunehmend der Sonn-
tag als normaler „Dienst-Tag“.
Günther verrichtete alle ihm übertra-
genen Aufgaben offenbar klaglos und mit
großer Selbstverständlichkeit, galt es an-
gesichts des Krieges doch, seinen „Mann
zu stehen“. Eine zusätzliche Motivation
dürfte es für ihn gewesen sein, dass sich
sein Bruder Gustav nach Ableistung des
Arbeitsdienstes Anfang Oktober 1939
freiwillig zur Wehrmacht gemeldet hatte.
Er sei damals, so legte Günther Roos
50 Jahre später nieder, „wahnsinnig stolz“
gewesen, dass sein Bruder sich zu diesem
Schritt entschlossen habe. Allerdings,
so musste er rückblickend hinzufügen,
seien dessen Beweggründe nicht, wie er
damals wie selbstverständlich angenom-
men habe, „Begeisterung für den Krieg
und den Nationalsozialismus“ gewesen,
stattdessen habe Gustav ganz einfach
geglaubt, „sich einer Verpflichtung nicht
entziehen zu können“.
Der Krieg war zu diesem Zeitpunkt
noch längst nicht im Rheinland „ange-
kommen“. Zwar beobachtete man die Er-
folge in Polen mit zunehmender Begeiste-
rung, sowohl Frankreich als auch Groß-
britannien verhielten sich trotz ihrer
Kriegserklärungen jedoch überraschend
ruhig. Weil dies aber keinesfalls den
jugendlich-abenteuerlichen Erwartungen
der Heranwachsenden an der „Heimat-
front“ entsprach, drohte die anfängliche
Kriegsbegeisterung bei ihnen bald in
Routine zu ersticken. Als Günther Roos
etwa am 23. September 1939 samstags
von 8 bis 20 Uhr für Dienste bei der
NSDAP-Kreisleitung Köln-Land eingeteilt
war, dominierte dort anscheinend Ge-
mächlichkeit. „Haben uns morgens gelang-
weilt. Haben mittags in einem Restaurant
1939: „Es lebe Deutschland!“
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1939