dieser Hinsicht kurz vor Beginn und anschließend in der frühen
Phase des Krieges zu Papier brachte, dürfte daher eher von an-
deren im familiären, schulischen und kleinstädtischen Umfeld
geäußert, von ihm aufgeschnappt und dann im Tagebuch verar-
beitet worden sein. Allein die diesbezüglichen kurzen Äußerun-
gen von Vater Toni in dessen Briefen an Sohn Gustav zeigen, in
welchem Ton in Günthers Familie über die politische Lage in
Europa gesprochen wurde.
Allgemein war das gesamte öffentliche, schulische und wohl
auch das familiäre Leben – Bruder Gustav wurde mit Kriegs
beginn Soldat! – vom Thema des drohenden Krieges bestimmt.
„Täglich hörten wir von Verfolgung und von Gräueltaten an
Volksdeutschen in Polen“, erinnerte sich Günther Roos später.
„Das können wir uns doch auf die Dauer nicht gefal-
len lassen! Und die Gerüchteküche kochte. Die älte-
ren Leute sprachen nur in großer Sorge über die
Möglichkeit eines Krieges. Es herrschte eine dump-
fe Stimmung.“
[
Ü
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Davon wurde die Spielkameradschaft zwischen
Kurt und Günther offenbar nicht sehr stark berührt:
„Haben morgens bei Kurt am Lager weitergebaut.
Waren nachmittags in der Fabrik. Haben die Schuhe
der Arbeiterinnen an der Decke festgebunden und
haben dann an den Wänden entlang Girlanden aus
Kaffeekannen aufgehängt. Haben wir gelacht!“ Das
war das übermütige Tagwerk am 26. August, und
danach bestimmten – auch über den 1. September hi-
naus – weiterhin Krocketspiel, Lagerbau und
Schwimmen Günthers Ferienalltag.
Deutsch-Sowjetischer Nichtangriffspakt
Im Lauf des Augusts 1939 wurde der deutsche Weg in den Krieg außenpolitisch vorbereitet:
Nachdem am 19. ein deutsch-sowjetisches Handels- und Kreditabkommen unterzeichnet worden
war, das der UdSSR einen Warenkredit in Höhe von 200 Millionen Reichsmark gewährte, folgte
vier Tage später in Moskau zur allgemeinen Überraschung der Abschluss eines deutsch-sowjeti-
schen Nichtangriffspakts und eines – der Öffentlichkeit naturgemäß unbekannt bleibenden –
Geheimprotokolls zur künftigen Aufteilung der Interessenssphären in Osteuropa. Damit hatte das
NS-Regime das letzte Hindernis auf dem Weg in den Krieg beseitigt.
Sowohl die deutsche Bevölkerung als auch die Weltöffentlichkeit sahen sich durch das Abkommen,
das Hitler einige Tage später intern als „Pakt mit dem Satan, um den Teufel auszutreiben“
bezeichnen sollte, plötzlich mit der von oben diktierten Übereinstimmung zweier grundsätzlich
gegensätzlicher Gesellschaftssysteme konfrontiert. Um die Irritationen schnellstmöglich zu
zerstreuen, wurde die deutsche Presse angewiesen, den Nichtangriffspakt als „sensationellen
Wendepunkt“ zu feiern. Was das Abkommen bedeutete, war aufmerksamen Beobachtern
umgehend klar: „Wir sind also überspielt worden“, notierte der französische Botschafter in Berlin
und stellte fest: „Damit ist der letzte Faden, an dem der Friede noch hing, gerissen.“
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49 Ü Propaganda vor Kriegsbeginn1939: „Es lebe Deutschland!“
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1939