saß, schrieb oder stopfte und ich auf dem
Sofa lag und las und rauchte. Dazu spielte
dann das Radio leise. Da kam mir die Ge-
wissheit, dass diese gemütliche, sorgenlo-
se Zeit unwiederbringlich vorüber ist.“
Am 25. April 1943 schrieb Günther an
Mutter Elisabeth: „Mein Ideal ist augen-
blicklich, noch einmal auf dem Sofa zu lie-
gen, Radio zu hören usw. Du weißt ja, wie
ich das immer gemocht habe.“ Und als er
dann am 14. Juli 1943 tatsächlich auf Ur-
laub nach Brühl kam, notierte er: „Na, zu
Hause war kein Mensch. Habe mich noch
einmal kurz wie früher auf das Sofa ge-
wälzt, das Radio angestellt, gelesen und
geraucht. Es war, als wäre ich nie einge-
zogen worden.“
Auch sonst lief das in der Küche stehen-
de Rundfunkgerät regelmäßig: Übertra-
gungen von Karnevalssitzungen wurden
dabei ebenso gehört wie das kurz nach
Kriegsbeginn eingeführte und schnell
überaus populär gewordene
Wunschkon-
zert
. „Habe nachmittags gelesen und das
Wunschkonzert gehört“, heißt es etwa un-
ter dem 12. Januar 1941. Während des
Krieges waren es aber zunehmend andere
Sendeformate, die Günthers besonderes
Interesse fanden. Das waren zunächst
die regelmäßigen Radionachrichten, die
schneller über die sich oft überschlagen-
den Ereignisse unterrichteten als die Ta-
gespresse. Dabei nutzte man im Hause
Roos durchaus auch ausländische Sender
als Informationsquelle, um dort Näheres
über die aktuelle Lage zu erfahren. Am
31. August hieß es im Tagebuch beispiels-
weise: „Haben bis 12 Uhr [nachts] am Ra-
dio gesessen und Nachrichten gehört.
Der Führer hat einen Vorschlag an Polen
gestellt. Er ist abgelehnt worden. Ob es
Krieg gibt?“
Kaum hatte dieser am nächsten Mor-
gen begonnen, wurde mit den
Sondermel-
dungen
ein neues Sendeformat eingeführt,
das mit eigener Erkennungsmelodie die
Menschen vor den Radiogeräten versam-
melte und geradezu elektrisierte. Bereits
am Nachmittag des 1. September 1939, so
erinnerte sich Günther Roos später, seien
die ersten „Sondermeldungen vom Vor-
marsch unserer siegreichen Truppen“ aus-
gestrahlt worden. „Unsere Truppen mar-
schieren! Mit dieser Nachricht wurde ich
heute geweckt. Der Führer hat befohlen.
Könnte ich doch dabei sein!“, schrieb er
euphorisch nach dem ohne vorherige
Kriegserklärung erfolgten deutschen Ein-
marsch in Jugoslawien am 6. April 1941.
Aber es gab auch für ihn „sonderbare“ und
„schreckliche“ Nachrichten wie jene von
Rudolf Heß’ Englandflug, dem Tod von
U-Boot-Legende Günther Prien oder dem
Untergang der „Bismarck“, des größten
deutschen Schlachtschiffs. All das ent-
nahm Günther dem Rundfunk. Ob er
parallel zu dieser Informationsquelle noch
den
Westdeutschen Beobachter
als von
seinen Eltern bezogene Tageszeitung las,
erwähnte er hingegen nicht.
[
Ü
21]
Nach dem deutschen Überfall
auf die Sowjetunion gewannen die
Sondermeldungen
für die gesamte
Familie Roos nochmals erheblich
an Bedeutung, weilte doch Sohn
bzw. Bruder Gustav mitten im
Kampfgeschehen. Hierzu ein Bei-
spiel vom 29. Juni: „Um 11 Uhr war
ich in der Kirche. War dann bei
Klugs. Habe hier Sondermeldungen
gehört. Die sind ja schon tüchtig
vorwärtsgekommen. 2 000 Pan-
zer zerstört, 4 100 Flugzeuge und
40 000 Gefangene. Die Zahlen
steigen dauernd. Brest, wo Gustav
ist, Dubno, Grodno, Kowno, Wilna, Dün-
aburg und Minsk sind in unserer Hand.
Fantastische Erfolge!!“ Bereits dieses Zi-
tat lässt erahnen, welche propagandisti-
sche Bedeutung und Wirkung den per-
manenten und stets von Erfolgen berich-
tenden
Sondermeldungen
zukam.
[
Ü
22]
Eine ebenso große, wenn nicht noch
größere Wirkung übten auf Günther die
Rundfunkübertragungen der zahlreichen
Reden Adolf Hitlers aus. Von Kindesbei-
nen an war er deren regelmäßiger und
zunehmend begeisterter Zuhörer. Über-
wog in jungen Jahren beim „Gemein-
schaftsempfang“ solcher Sendungen in
der Aula des Brühler Gymnasiums viel-
leicht noch die Freude über den Ausfall
123
123 /
Ausschnitt aus der
Kölni
schen Illustrierten Zeitung
,
Februar 1940
21 Ü Der 6. April 1941 im Rundfunk 22 Ü Sondermeldungen vom 29. Juni 1941Günther Roos und die Medien seiner Zeit
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