punkt in erster Linie um Stalins Schrift
Über dialektischen und historischen Ma-
terialismus
kreisten: „Hierdurch erhielt
ich erstmalig einen Eindruck in die welt-
anschaulichen Grundlagen des Materia-
lismus.“ Auch wenn Günther „die Logik
in der Schrift“ als „zwingend“ empfand,
ließ er sich nicht überzeugen, weil er es
„schon rein gefühlsmäßig nicht fertig“
brachte, „im Materialismus aufzugehen,
geschweige denn ihn zu bejahen“. Was
ihn dabei bezeichnenderweise ganz be-
sonders störte, war „das Fehlen jedes ras-
sischen Grundgedankens“: „Diese Idee
ist
zu
tief
in
mir verwurzelt, um herausgerissen zu
werden. Aber ich werde weiter nach der
Wahrheit forschen und versuchen, sie zu
ergründen.“
Studium und Liebe
Die zwischenzeitliche Hinwendung zur
KPD erfolgte jedoch keineswegs nur aus
Gründen weltanschaulicher Suche, son-
dern diente – wie oben gezeigt – von Be-
ginn an auch ganz pragmatisch dem Ziel,
einen Studienplatz zu erhalten. Auch
wenn ihm bald klar wurde, dass der
Kommunismus nicht seine dauerhafte
politische Heimat werden würde, blieb
der um einen Studienplatz und damit
um seine berufliche Zukunft kämpfende
Günther Roos diesem Weg noch einige
Zeit treu. „Habe mich wegen meines Stu-
diums einmal an die K.P.D. gewandt“,
schrieb er am 19. April 1947. Dort war
ihm offensichtlich Mut gemacht worden,
denn weiter heißt es im Tagebuch: „Ich
soll nun eine Eingabe machen, die an den
Kultusminister weitergegeben wird. Sie
wollen mir helfen.“ Trotz eigener intensiver
Bemühungen um einen Studienplatz
wollte er sich als letzte Option auch die
von ihm wohl weit überschätzten Ein-
flussmöglichkeiten der KPD zunutze ma-
chen: „Als letzter Weg bleibt dann die
KPD. Wenn sie mir helfen, bin ich der
ihre, getreu den Grundsätzen des Materi-
alismus.“ Zugleich entschied sich Gün-
ther – auch das wohl ein Kennzeichen
seines Tastens nach politischer Orientie-
rung – bei der tags darauf stattfindenden
ersten Landtagswahl der Nachkriegszeit
seine Stimme der KPD zu geben. „Ich
halte es im Augenblick als das Beste.“
Zuvor hatte Günther Roos bereits einige
schwere Rückschläge bei seiner Bewer-
bung für einen Studienplatz einstecken
müssen. Zunächst hatte er sich im August
offenbar nur an der Technischen Hoch-
schule in Hannover für das Wintersemes-
ter 1946/47 beworben, von wo er im De-
zember nach eigenen Worten eine „ver-
nichtende Absage“ erhielt. Obwohl ihn
das tief enttäuschte, blieb Günther weiter-
hin am Ball, belegte Mitte Januar 1947
einen Stenografiekurs und beschloss, so
lange an der Kölner Universität Kunstge-
schichte „schwarz“ zu studieren, bis man
ihm den angestrebten Studienplatz in
Architektur an einer Technischen Hoch-
schule zuteilen würde. „Alea iacta sunt!
Gestern habe ich mit einem kurzen Stoß-
gebet die Anfragen an sieben THs in den
Kasten geworfen“, notierte er am 17. Janu-
ar. „Irgendwo muss es doch jetzt klappen!
Heute habe ich dann meine erste Vorle-
sung in Kunstgeschichte gehört. Es klappt
prächtig. Es wird griechische Architektur
gelesen. Ebenfalls habe ich mich auf der
Berlitzschule in Köln für Französisch an-
gemeldet und seit Montag lerne ich beim
Lehrer Walter Stenografie. Der Laden
läuft also.“
Was ihn trotz aller Rückschläge so posi-
tiv gestimmt haben dürfte, war eine neue
Bekanntschaft. Inge hatte er offenbar im
Herbst 1946 kennengelernt und war am 23.
Dezember in deren Familie eingeführt
worden: „Es herrscht ein wunderbar fri-
scher und froher Ton in der Familie, so-
dass ich dort sofort wie zu Hause war.“
Das galt umso mehr, als sich Günther an-
gesichts der Untätigkeit seines Vaters in
der eigenen Familie zusehends unwohler
fühlte. Entsprechend lieb- und emotions-
los fiel das 1946 begangene Weihnachts-
fest aus – „ein Tag wie 365 andere“. Einen
Weihnachtsbaum stellte man im Hause
Roos nur noch auf, weil es „besser“ aussah,
wenn Besuch kommen sollte. Ansonsten
aber, so äußerte Günther am 1. Weih-
Erste Nachkriegsjahre: „Mein Ziel ist der Aufbau einer Existenz.“
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