Table of Contents Table of Contents
Previous Page  281 / 300 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 281 / 300 Next Page
Page Background

vollen Mienen. Ich musste grinsen“, beschrieb er seine Eindrü-

cke. Später verglich er das Geschehen mit einem „Aufmarsch

aus alter Zeit“, weil nahezu „alle ehemaligen Nazigrößen aus

Brühl fast vollständig in der Prozession vertreten“ gewesen

seien. Sie alle hatten blitzschnell die Seiten gewechselt; die meis-

ten nicht zuletzt wohl deshalb, um von den Pfarrern einen der

zur politischen Entlastung im Entnazifizierungsverfahren so

wichtigen und daher heiß begehrten „Persilscheine“ zu erhalten.

Noch weitaus prägender dürften für Günther Roos in dieser

Hinsicht die Erfahrungen gewesen sein, die er mit Blick auf die

Lehrkräfte im Rahmen seines erzwungenen neuerlichen Schul-

besuchs machte. Das Verhältnis zu den alten und zugleich neu-

en Lehrern sei „sehr unterschiedlich“ gewesen, erinnerte er sich

später. Viele von ihnen hätten im Umgang mit den Schülern Pro-

Entnazifizierung

Nach der Niederlage des nationalsozialistischen Deutschland versuchten die vier Besatzungs­

mächte mit der Entnazifizierung (angelehnt an den amerikanischen Begriff „Denazification“),

die Nationalsozialisten und ihr Gedankengut aus dem öffentlichen Leben, insbesondere

aus verantwortlichen Stellungen in der Verwaltung, dem Erziehungswesen und der Wirtschaft

zu beseitigen. Obwohl sich die Siegermächte auf der Potsdamer Konferenz auf ein

einheitliches Vorgehen geeinigt hatten, wurde die Entnazifizierung in den vier Besatzungs­

zonen schließlich sehr unterschiedlich durchgeführt.

In der sowjetischen Besatzungszone wurde verhältnismäßig umfangreich und schnell

entnazifiziert. Beispielsweise wurden über 520 000 Menschen bis zum offiziellen Ende der

Aktion in der SBZ im Februar 1948 aus ihren Positionen entfernt. Allerdings trafen die

Maßnahmen nicht nur Nationalsozialisten, sondern auch all jene, die der Umwandlung in

einen kommunistischen Staat im Weg standen, darunter auch Demokraten und andere

Gegner des NS-Regimes. In der US-Besatzungszone mussten 13 Millionen Menschen um-

fangreiche, 133 Fragen umfassende Fragebögen zu ihrer Vergangenheit ausfüllen. Auf-

grund dieser Angaben wurden sie von Laiengerichten („Spruchkammern“) in Belastungs-

kategorien eingestuft, wovon die Härte der Strafmaßnahmen oder die etwaige Verhängung

eines Berufsverbotes abhing. Dieses Verfahren wurde mit Verzögerung und in kleinerem

Umfang dann auch in der britischen und der französischen Besatzungszone übernommen.

Allerdings stellten sich viele Deutsche gegenseitig Leumundszeugnisse – die viel zitierten

„Persilscheine“ – aus, um sich reinzuwaschen und so einer negativen Einstufung zu entgehen.

Außerdem war es an der Tagesordnung, dass die Spruchkammern zunächst die leichteren

Fälle behandelten und eine Beurteilung der schwerer Belasteten aufschoben. Da im Zuge

des sich verschärfenden Ost-West-Gegensatzes die Entnazifizierung ab 1948 für die

Westmächte an Stellenwert verlor und eine Einbindung aller – auch der belasteten –

Deutschen in den Kampf gegen den Kommunismus und in das beginnende „Wirtschafts-

wunder“ Vorrang gewann, wurden die zurückgestellten schwereren Fälle oft milder beurteilt.

Zuvor schwer Belastete mutierten im Berufungsverfahren plötzlich zu reinen „Mitläufern“

des NS-Regimes. In der Bundesrepublik wurde die Entnazifizierung im Dezember 1950

auf Beschluss des Bundestages eingestellt.

Erste Nachkriegsjahre: „Mein Ziel ist der Aufbau einer Existenz.“

279

Erste Nach-

kriegsjahre