Table of Contents Table of Contents
Previous Page  280 / 300 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 280 / 300 Next Page
Page Background

nen gegeben hatte. „Zucker, Butter und

Nährmittel gibt es weniger, dafür Brot

und Kartoffeln mehr. Man bekommt da-

durch etwas in den Bauch, aber nichts in

die Knochen.“ Ein Arbeiten, zumal unter

solch hoher körperlicher Belastung wie

auf dem Bau, sei „bei dem bisschen Fraß“

schier unmöglich. Entsprechende Reak-

tionen blieben nicht aus, die Günther mit

großem Interesse beobachtete: „Ist es da

ein Wunder, wenn der Arbeiter knurrt?

Es ist überhaupt interessant, den Unter-

haltungen in der Bauhütte während der

Pausen zuzuhören. Immer wieder wird

für den Nationalsozialismus eingetreten,

mit einer Offenheit, die mich wundert.

Und alle sind davon überzeugt, dass es

auf allen Gebieten bedeutend besser

wäre, wenn Hitler noch da wäre. Dann

würde wenigstens gehandelt und nicht

nur Konferenzen abgehalten. Es ist mir

direkt aus der Seele gesprochen.“

Entnazifizierung

Neben ihm bisher unbekannten demo-

kratischen Organisationsformen und der

schlechten Versorgungslage gab es noch

einen weiteren Bereich, der immer wieder

Günthers Widerspruch herausforderte

und ihm die persönliche Integration in

die Nachkriegsgesellschaft erheblich er-

schwerte, nämlich jenen der im weitesten

Sinne politischen Aufarbeitung der NS-

Vergangenheit in Form von Prozessen

und der Entnazifizierung. Erste Erfah-

rungen mit der „politischen Säuberung“

der deutschen Nachkriegsgesellschaft hat-

te er bereits kurze Zeit nach seiner Rück-

kehr aus der Kriegsgefangenschaft ma-

chen müssen. Bei seinem „Gang durch die

Behörden“ habe er im Sommer 1945 auch

vor einer Brühler Entnazifizierungskom-

mission erscheinen müssen, erinnerte

sich Günther Roos später: „Hier traf ich

dann auch Hermann M., einen ehema­

ligen Klassenkameraden. Während wir

noch über unsere Erlebnisse der letzten

Jahre sprachen, wurde er in den Verhand-

lungsraum hereingerufen, kam aber gleich

wieder raus, zuckte fragend mit den Schul-

tern, klopfte wieder an und ging hinein.

Schon nach kurzer Zeit kam er leicht blass

wieder heraus. Das Urteil lautete: sechs

Wochen in Köln Trümmer räumen und

Leichen bergen!“ Gerade aus dem Gefan-

genenlager entlassen, bekam es Günther

mit der Angst zu tun: „Du lieber Himmel,

der war doch nie aktiv in der HJ gewesen,

dann bekomme ich ja mindestens zehn

Jahre!“ Sein Freund erzählte ihm dann

aber, was wohl der Grund für seine harte

Behandlung durch das Komitee war. Er

hatte nämlich das Amtszimmer beide

Male aus anerzogener Gewohnheit mit

einem lauten „Heil Hitler“ und der ent-

sprechenden Armbewegung betreten,

was ihn als überzeugten Nationalsozialis-

ten erscheinen lassen musste. So vorge-

warnt, betrat Günther den Raum nun gut

vorbereitet: „Da mir mein verwundeter

Fuß mal wieder Beschwerden machte,

ging ich mit einem Stock. Ich fasste also

den Stock fest mit der rechten Hand, um

sie nicht zum Gruß erheben zu können,

und betrat das Zimmer.“ Nachdem so die

erste Klippe umschifft war, nahm das

Verhör durch den ihm bekannten Herrn

D. einen für Günther überraschenden

Verlauf: „‚Worst du in de Partei?‘ – ‚Ja.‘ –

‚Worst du en de HJ?‘ – ‚Ja.‘ – ‚Worst du ne

Führer?‘ – ‚Ja.‘ – ‚Warum jehste am Stock?‘

– ‚Ich hann en Verwundung.‘ Dann richte-

te sich Herr D. zu seinem Beisitzer und

frug den: ‚Wat meenst, Karl, sollen mir en

freijeffe?‘ Die Antwort lautete: ‚Ja‘ und so

war ich entnazifiziert.“

Dabei blieb es jedoch nicht, denn im

Lauf der Zeit wurde die in der britischen

Zone praktizierte Entnazifizierung jener

in der US-Zone angepasst, was ein neues

Verfahren einschließlich einer Kategori-

sierung notwendig machte, auf die die

Briten zuvor verzichtet hatten. Bevor es

aber überhaupt zu den eigentlichen Ver-

fahren kam, äußerte sich Günther Roos

kritisch über den in seinen Augen schein-

heiligen Gesinnungswandel, den er im

Zuge der „politischen Säuberung“ in Brühl

ausmachte. Der war besonders deutlich

am 20. Juni anlässlich des Fronleich-

nams-Feiertags zu beobachten. „Interes-

sant war die Prozession. Diese salbungs-

Erste Nachkriegsjahre: „Mein Ziel ist der Aufbau einer Existenz.“

278