nen gegeben hatte. „Zucker, Butter und
Nährmittel gibt es weniger, dafür Brot
und Kartoffeln mehr. Man bekommt da-
durch etwas in den Bauch, aber nichts in
die Knochen.“ Ein Arbeiten, zumal unter
solch hoher körperlicher Belastung wie
auf dem Bau, sei „bei dem bisschen Fraß“
schier unmöglich. Entsprechende Reak-
tionen blieben nicht aus, die Günther mit
großem Interesse beobachtete: „Ist es da
ein Wunder, wenn der Arbeiter knurrt?
Es ist überhaupt interessant, den Unter-
haltungen in der Bauhütte während der
Pausen zuzuhören. Immer wieder wird
für den Nationalsozialismus eingetreten,
mit einer Offenheit, die mich wundert.
Und alle sind davon überzeugt, dass es
auf allen Gebieten bedeutend besser
wäre, wenn Hitler noch da wäre. Dann
würde wenigstens gehandelt und nicht
nur Konferenzen abgehalten. Es ist mir
direkt aus der Seele gesprochen.“
Entnazifizierung
Neben ihm bisher unbekannten demo-
kratischen Organisationsformen und der
schlechten Versorgungslage gab es noch
einen weiteren Bereich, der immer wieder
Günthers Widerspruch herausforderte
und ihm die persönliche Integration in
die Nachkriegsgesellschaft erheblich er-
schwerte, nämlich jenen der im weitesten
Sinne politischen Aufarbeitung der NS-
Vergangenheit in Form von Prozessen
und der Entnazifizierung. Erste Erfah-
rungen mit der „politischen Säuberung“
der deutschen Nachkriegsgesellschaft hat-
te er bereits kurze Zeit nach seiner Rück-
kehr aus der Kriegsgefangenschaft ma-
chen müssen. Bei seinem „Gang durch die
Behörden“ habe er im Sommer 1945 auch
vor einer Brühler Entnazifizierungskom-
mission erscheinen müssen, erinnerte
sich Günther Roos später: „Hier traf ich
dann auch Hermann M., einen ehema
ligen Klassenkameraden. Während wir
noch über unsere Erlebnisse der letzten
Jahre sprachen, wurde er in den Verhand-
lungsraum hereingerufen, kam aber gleich
wieder raus, zuckte fragend mit den Schul-
tern, klopfte wieder an und ging hinein.
Schon nach kurzer Zeit kam er leicht blass
wieder heraus. Das Urteil lautete: sechs
Wochen in Köln Trümmer räumen und
Leichen bergen!“ Gerade aus dem Gefan-
genenlager entlassen, bekam es Günther
mit der Angst zu tun: „Du lieber Himmel,
der war doch nie aktiv in der HJ gewesen,
dann bekomme ich ja mindestens zehn
Jahre!“ Sein Freund erzählte ihm dann
aber, was wohl der Grund für seine harte
Behandlung durch das Komitee war. Er
hatte nämlich das Amtszimmer beide
Male aus anerzogener Gewohnheit mit
einem lauten „Heil Hitler“ und der ent-
sprechenden Armbewegung betreten,
was ihn als überzeugten Nationalsozialis-
ten erscheinen lassen musste. So vorge-
warnt, betrat Günther den Raum nun gut
vorbereitet: „Da mir mein verwundeter
Fuß mal wieder Beschwerden machte,
ging ich mit einem Stock. Ich fasste also
den Stock fest mit der rechten Hand, um
sie nicht zum Gruß erheben zu können,
und betrat das Zimmer.“ Nachdem so die
erste Klippe umschifft war, nahm das
Verhör durch den ihm bekannten Herrn
D. einen für Günther überraschenden
Verlauf: „‚Worst du in de Partei?‘ – ‚Ja.‘ –
‚Worst du en de HJ?‘ – ‚Ja.‘ – ‚Worst du ne
Führer?‘ – ‚Ja.‘ – ‚Warum jehste am Stock?‘
– ‚Ich hann en Verwundung.‘ Dann richte-
te sich Herr D. zu seinem Beisitzer und
frug den: ‚Wat meenst, Karl, sollen mir en
freijeffe?‘ Die Antwort lautete: ‚Ja‘ und so
war ich entnazifiziert.“
Dabei blieb es jedoch nicht, denn im
Lauf der Zeit wurde die in der britischen
Zone praktizierte Entnazifizierung jener
in der US-Zone angepasst, was ein neues
Verfahren einschließlich einer Kategori-
sierung notwendig machte, auf die die
Briten zuvor verzichtet hatten. Bevor es
aber überhaupt zu den eigentlichen Ver-
fahren kam, äußerte sich Günther Roos
kritisch über den in seinen Augen schein-
heiligen Gesinnungswandel, den er im
Zuge der „politischen Säuberung“ in Brühl
ausmachte. Der war besonders deutlich
am 20. Juni anlässlich des Fronleich-
nams-Feiertags zu beobachten. „Interes-
sant war die Prozession. Diese salbungs-
Erste Nachkriegsjahre: „Mein Ziel ist der Aufbau einer Existenz.“
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