höchsten Einsatz, nämlich dem Leben,
was mich reizte? Ist nicht auch ein guter
Schuss Abenteuerlust dabei und der Hang
zum ungebundenen Leben eines Lands-
knechts? Heute der Gefahr ins Auge sehen,
das Leben nochmals geschenkt bekom-
men und es dann mit vollen Zügen zu ge-
nießen, ohne Sorge um das Morgen? Und
sah ich nicht auch beim Militär eine Mög-
lichkeit, meinen Ehrgeiz zu befriedigen
und Macht zu besitzen? War es nicht der
Machtrausch, der mich kitzelte, wenn auf
das Wort von mir ‚Feuer!‘ die Hölle ihre
Pforten öffnete, es hundertfach aufblitzte,
die Erde bebte und die Luft dröhnte und
hundertfach Menschenleben vernichtet
wurden? Und wenn ich dann am liebsten
unseren dankbaren Infanteristen und den
stöhnenden Feinden, die sich in die Erde
krallten, zugerufen hätte: ‚Das war mein
Werk!‘? Abgründe sind es, die sich auftun,
wenn ich so mein Soldatentum betrachte,
aber es kam ja auch noch die unendliche
Liebe zu meinem Großdeutschen Vater-
land hinzu, und der endlose Hass gegen
alle seine Feinde. Aber ziehen nicht gerade
Abgründe den Menschen an und lösen in
ihm einen Schauer wollüstiger Furcht aus?
War es Recht oder Unrecht? Wer kann die-
se Frage entscheiden. Für mich galt als
Recht das, was gut ist für mein Volk und
für das Blut, das in mir kreist. Ich muss
mein Leben vor meinen Ahnen und En-
keln verantworten können.“
Diese bemerkenswerte Bilanz des gera-
de 22 Jahre alt gewordenen Günther Roos
enthielt sämtliche Versatzstücke, die des-
sen Leben seit 1939 weitgehend bestimmt
hatten. Seinen Ehrgeiz und sein ausge-
prägtes Machtstreben stellte er nun eben-
so auf den Prüfstand wie erstmals auch
sein Soldatentum, das er zuvor nie kritisch
zu hinterfragen in der Lage gewesen war.
Seine erstaunlich klare und schonungs
lose Analyse und die plötzliche bewusste
Ablehnung seiner bisherigen Einstellung
war ganz offenbar von Remarques
Im
Westen nichts Neues
ermöglicht und aus-
gelöst worden, einem Buch, das für ihn
während der NS-Zeit nicht greifbar gewe-
sen war.
Der Sommer 1946 war für Günther
Roos in vielerlei Hinsicht eine Zeit des
Umbruchs und der Neuorientierung. Die
Tatsache, dass ihm als Jungvolkführer
der Weg zur Universität auf ungewisse
Zeit versperrt wurde, zwang ihn zur Suche
nach Alternativen. „Was mit dem Studie-
ren wird, ist noch schleierhaft“, notierte
er Mitte Mai im Tagebuch, deutete aber
zugleich an, dass er nicht mehr nur in
der Vergangenheit lebte, sondern zwi-
schenzeitlich willens war, sein Schicksal
selbst in die Hand zu nehmen und sich
den neuen Gegebenheiten anzupassen.
Wenn ein Studium in Deutschland un-
möglich sei und bleibe, wollte er mittels
Verwandtschaftsbeziehungen versuchen,
einen Studienplatz in der Schweiz zu
bekommen. Aber nicht nur das Verlassen
seines geliebten Deutschlands war für
ihn nunmehr eine Option geworden, son-
dern ein zusehends raumgreifender Prag-
matismus ließ ihn noch ganz andere, zu-
vor unvorstellbare Möglichkeiten in Erwä-
gung ziehen: „Gleichzeitig versuche ich
aber auch, in Verbindung mit der KPD
zu kommen. Mir ist jedes Mittel recht,
um zu meinem Ziel zu kommen.“
Zur gleichen Zeit, in der er
Im Westen
nichts Neues
las, fasste Günther Roos
auch den Entschluss, dem täglichen Müßig
gang zu entgehen und sich nach einer
Arbeitsstelle umzusehen. „Das ewige
Nichtstun muss ja auch endlich einmal
aufhören. Und ich muss sehen, dass ich
etwas werde“, notierte er einen Tag,
nachdem er am 19. Juni im benachbarten
Knapsack ein erfolgreiches Vorstellungs-
gespräch bei der Baufirma „Hochtief “
absolviert hatte. Am 1. Juli war Arbeits-
beginn, und Günther war sich sicher,
dass es eine „üble Zeit“ werden würde,
weil er morgens schon um 6 Uhr zur
Arbeitsstelle fahren müsse, von der er
erst gegen 17 Uhr zurückkehren würde:
„Aber es muss gemacht werden und ich
glaube, ich habe schon Schlimmeres
durchgemacht.“
Bei Hochtief geriet sein sich gerade erst
grundlegend änderndes Weltbild gleich
wieder in Gefahr. Zum einen ärgerte er
Erste Nachkriegsjahre: „Mein Ziel ist der Aufbau einer Existenz.“
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