er alliierter Bestimmungen plötzlich in-
frage gestellt war: „Von dem Rang eines
Scharführers an aufwärts ist ein Studium
untersagt. Und ich war Oberjungzug
führer, war also noch einen Dienstgrad
höher. Prost Mahlzeit! Was nun? Ich stehe
dann tatsächlich vor einem Nichts. Die
einzige Hoffnung ist, dass bis zur Beendi-
gung meines Praktikums eine Änderung
eingetreten ist. Sonst bin ich am Arsche
des Propheten.“
Akuter noch war die überaus schlechte
Ernährungslage. Am 20. April kommen-
tierte er zunächst das für ihn nach wie
vor bedeutsame Datum: „Führers Ge-
burtstag! Das war einmal. Die Zukunft
wird erst erkennen können, ob Genie
oder Wahnsinniger. Die Zukunft kann
erst seinen Wert und seine Bedeutung
für die Zukunft Europas ermessen“, um
anschließend die aktuelle Situation zu
beschreiben, die nach Günthers Angaben
„mehr als beschissen“ war: „Die Verpfle-
gung ist saumäßig. Wir sind tatsächlich
am Hungern. Kein Mensch kann mit die-
sen knappen Zuteilungen auskommen.“
Eine Woche darauf spitzte sich die Lage
angesichts des nahenden Abiturs weiter
zu. „Es ist mehr wie beschissen! Wir
haben nichts mehr außer Kohldampf.“ Er
fühle sich, so kommentierte Günther
Roos seine Befindlichkeit, „schlapp wie
eine Klosettfliege“. „Und am Montag
steigt das Abi mit der schriftlichen Prü-
fung.“ Die Schuld an dem aktuellen
Zustand sah er – wie so viele Deutsche –
immer noch nicht bei sich selbst, sondern
bei den ehemaligen Kriegsgegnern. „Freut
euch des Lebens und ein Hoch unseren
Befreiern“, fügte er in einem neuerlichen
Anflug von Sarkasmus hinzu, um ab-
schließend einen zu jener Zeit auch in
Brühl geläufigen bitteren Vers zu zitieren:
„‚Gott, schicke uns das Fünfte Reich, das
Vierte ist dem Dritten gleich.‘ – Oder
noch schlimmer!“
Kalter Krieg
„Kalter Krieg“ wird der Konflikt zwischen den Westmächten unter Führung der USA und
dem Ostblock unter Führung der Sowjetunion genannt. Er dauerte vom Ende des
Zweiten Weltkriegs bis 1989 – die „heißeste“ Phase lag zwischen 1947 und 1972 – und
wurde mit nahezu allen Mitteln, jedoch ohne direkte militärische Auseinandersetzung,
als Systemkonfrontation zwischen Kapitalismus und Kommunismus ausgetragen.
Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs war von einem Ost-West-Konflikt noch nicht viel
zu spüren gewesen. Spätestens mit dem Tod des amerikanischen Präsidenten Roosevelt
am 12. April 1945 zerbrach dann jedoch die Anti-Hitler-Koalition, weil es ein Hauptziel
von dessen Nachfolger Truman war, eine Ausbreitung des Kommunismus in Europa
zu verhindern. Innerhalb von zwei Jahren verschlechterte sich das Klima zwischen den
Supermächten USA und Sowjetunion daher dramatisch. Am 5. März 1946 sprach
der britische Premier Winston Churchill in einer berühmt gewordenen Rede erstmals
von einem „eisernen Vorhang“, der Europa teile. Als der amerikanische Journalist
Walter Lippmann 1947 dann ein Buch mit dem Titel „The Cold War“ veröffentlichte,
hatte diese Ära auch einen Namen bekommen. Im gleichen Jahr formulierte der
US-Präsident die nach ihm benannte Truman-Doktrin, nach der die USA all jenen
Staaten zu helfen versprach, die vom Kommunismus bedroht würden.
Der neue Kurs umfasste auch ein gigantisches Aufbauprogramm für die kriegsgeschä-
digte europäische Wirtschaft: den Marshallplan. Als Stalin den osteuropäischen
Ländern die Teilnahme an diesem US-Programm untersagte, deutete sich die Teilung
der Welt an, die dann mit der Bildung des Westblocks und der im Juni 1948 in den West
zonen durchgeführten Währungsreform ihren ersten formalen Ausdruck fand.
Erste Nachkriegsjahre: „Mein Ziel ist der Aufbau einer Existenz.“
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