bringt sie an die Grenze des Wahnsinns,
da sie annimmt, es seien Flieger.“ So würde
sich aber die gesamte verbliebene Brühler
Bevölkerung verhalten – „total verrückt“.
Daher sei er froh gewesen, Brühl verlas-
sen und wieder „zum Haufen“ fahren zu
können. „Die miese Stimmung, die dort
herrscht, kotzt einen ja an“, beklagte er
sich, um im schroffen Gegensatz dazu
seine innere Einstellung zu skizzieren:
„Man muss schon fanatisch sein, wenn
man nicht angesteckt werden will, und
das bin ich ja, Gott sei Dank.“
Das galt erst recht, als Günthers Ein-
heit am 18. Februar in die Nähe von
Meckenheim in unmittelbarer Nachbar-
schaft zu Brühl verlegt wurde. Nun, da er
„durch einen Dunstschleier in der Ferne
die 12 Apostel des RWE und das Gruhl-
werk“ sehen konnte, ging es ihm „einfach
blendend“: „Was ich mir immer gewünscht
habe, ist Wahrheit geworden. Ich bin so
froh, gerade hier eingesetzt zu sein. Nun
kann ich wahrhaft die Heimat verteidigen
und mein Teil dazu mittragen, dass der
Amerikaner nicht zu uns nach Hause
kommt.“ Die hierfür „notwendige Wut“
habe er bei seinen Besuchen in Brühl
angesichts der dortigen Zerstörungen ja
längst angesammelt.
Bald sollte Günther aber demonstriert
werden, dass auch sein „Heldenmut“ und
seine „Wut“ angesichts der erdrückenden
alliierten Überlegenheit nichts auszurich-
ten vermochten. „Tag von Güsten. Batterie
überrannt. Tross in Oberembt zerschla-
gen“, lautet der kurze, aber bedeutungs-
volle Tagebucheintrag vom 25. Februar.
Was war geschehen? Günthers Einheit war
zwischenzeitlich in Welldorf bei Jülich
stationiert, wo sie am 23. Februar von den
zügig vorrückenden US-Streitkräften mit
schwerem Trommelfeuer belegt wurde.
Unmittelbar darauf machte er dann die
Bekanntschaft mit alliierten Tieffliegern,
die er selbst rückblickend noch immer
mit einer Mischung von Angst und Er-
staunen schilderte: „Auf dem Weg zurück
musste ich mit dem Batterietrupp einen
circa 500 Meter langen Acker überqueren.
Da tauchten auch schon drei Jabos auf.
Wenn wir geglaubt hatten, die würden
sich für uns vier Mann nicht interessieren,
so hatten wir uns gewaltig getäuscht. Als
sie uns auf dem Acker erspäht hatten, flo-
gen sie eine Kurve und setzten zum An-
griff an. Auseinander und volle Deckung!
Dann starteten sie auf uns arme Würm-
chen einen Bombenangriff nach dem an-
deren. Als sie alle Bomben abgeworfen
hatten, beharkten sie uns bei immer neu-
en Anflügen mit den Bordwaffen. Wir
krallten uns in die Ackerfurchen, und
wenn wir ein Mauseloch gefunden hätten,
so wären wir da auch hineingekrochen.
Endlich hatten sie wohl alle Munition
verschossen und drehten ab.“ Günther
Roos erinnerte sich später, dass er neben
aller Freude, dem Angriff unversehrt ent-
kommen zu sein, besonders über die
„Materialverschwendung“ der Amerika-
ner erstaunt gewesen sei: „Während wir
uns vor jedem Schuss genau überlegen
mussten, ob er sich auch lohnt und eine
große Wirkung hat, konnten die es sich
erlauben, auf vier Figuren ein Übungs-
schießen zu veranstalten.“
Die geschilderte Überlegenheit der alli-
ierten Truppen wurde ihm dann zwei
Tage später nach einer Verlegung ins be-
nachbarte Güsten nochmals eindrücklich
vor Augen geführt, denn hier erlebte er,
wie er es später ausdrücken sollte, einen
„rabenschwarzen Tag“. Die US-Armee
habe mit einer solchen Macht angegriffen,
dass eine Gegenwehr überhaupt nicht
möglich gewesen sei. Stattdessen habe die
Wehrmacht viele Tote zu beklagen ge-
habt; allein aus seiner Batterie seien bei
dieser Gelegenheit 18 Soldaten ums Le-
ben gekommen. „Drei Worte sagen alles:
Ich lebe noch! Mehr brauche ich nicht zu
schreiben. Glück muss man als Soldat
eben haben, und ich habe mehrmals
riesiges Schwein gehabt“, schrieb er drei
Tage nach diesem dramatischen Erlebnis
an seinen Vater. Nach den Ereignissen
der Tage um den 25. Februar, dem
„Kampf um Jülich“, so Günther Roos rück
blickend, sei auch ihm klar geworden,
dass die Wehrmacht „militärisch am
Ende“ gewesen sei. Die „Hoffnungslosig-
1945: „Man muss schon fanatisch sein, und das bin ich ja, Gott sei Dank.“
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