Table of Contents Table of Contents
Previous Page  258 / 300 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 258 / 300 Next Page
Page Background

bringt sie an die Grenze des Wahnsinns,

da sie annimmt, es seien Flieger.“ So würde

sich aber die gesamte verbliebene Brühler

Bevölkerung verhalten – „total verrückt“.

Daher sei er froh gewesen, Brühl verlas-

sen und wieder „zum Haufen“ fahren zu

können. „Die miese Stimmung, die dort

herrscht, kotzt einen ja an“, beklagte er

sich, um im schroffen Gegensatz dazu

seine innere Einstellung zu skizzieren:

„Man muss schon fanatisch sein, wenn

man nicht angesteckt werden will, und

das bin ich ja, Gott sei Dank.“

Das galt erst recht, als Günthers Ein-

heit am 18. Februar in die Nähe von

Meckenheim in unmittelbarer Nachbar-

schaft zu Brühl verlegt wurde. Nun, da er

„durch einen Dunstschleier in der Ferne

die 12 Apostel des RWE und das Gruhl-

werk“ sehen konnte, ging es ihm „einfach

blendend“: „Was ich mir immer gewünscht

habe, ist Wahrheit geworden. Ich bin so

froh, gerade hier eingesetzt zu sein. Nun

kann ich wahrhaft die Heimat verteidigen

und mein Teil dazu mittragen, dass der

Amerikaner nicht zu uns nach Hause

kommt.“ Die hierfür „notwendige Wut“

habe er bei seinen Besuchen in Brühl

angesichts der dortigen Zerstörungen ja

längst angesammelt.

Bald sollte Günther aber demonstriert

werden, dass auch sein „Heldenmut“ und

seine „Wut“ angesichts der erdrückenden

alliierten Überlegenheit nichts auszurich-

ten vermochten. „Tag von Güsten. Batterie

überrannt. Tross in Oberembt zerschla-

gen“, lautet der kurze, aber bedeutungs-

volle Tagebucheintrag vom 25. Februar.

Was war geschehen? Günthers Einheit war

zwischenzeitlich in Welldorf bei Jülich

stationiert, wo sie am 23. Februar von den

zügig vorrückenden US-Streitkräften mit

schwerem Trommelfeuer belegt wurde.

Unmittelbar darauf machte er dann die

Bekanntschaft mit alliierten Tieffliegern,

die er selbst rückblickend noch immer

mit einer Mischung von Angst und Er-

staunen schilderte: „Auf dem Weg zurück

musste ich mit dem Batterietrupp einen

circa 500 Meter langen Acker überqueren.

Da tauchten auch schon drei Jabos auf.

Wenn wir geglaubt hatten, die würden

sich für uns vier Mann nicht interessieren,

so hatten wir uns gewaltig getäuscht. Als

sie uns auf dem Acker erspäht hatten, flo-

gen sie eine Kurve und setzten zum An-

griff an. Auseinander und volle Deckung!

Dann starteten sie auf uns arme Würm-

chen einen Bombenangriff nach dem an-

deren. Als sie alle Bomben abgeworfen

hatten, beharkten sie uns bei immer neu-

en Anflügen mit den Bordwaffen. Wir

krallten uns in die Ackerfurchen, und

wenn wir ein Mauseloch gefunden hätten,

so wären wir da auch hineingekrochen.

Endlich hatten sie wohl alle Munition

verschossen und drehten ab.“ Günther

Roos erinnerte sich später, dass er neben

aller Freude, dem Angriff unversehrt ent-

kommen zu sein, besonders über die

„Materialverschwendung“ der Amerika-

ner erstaunt gewesen sei: „Während wir

uns vor jedem Schuss genau überlegen

mussten, ob er sich auch lohnt und eine

große Wirkung hat, konnten die es sich

erlauben, auf vier Figuren ein Übungs-

schießen zu veranstalten.“

Die geschilderte Überlegenheit der alli-

ierten Truppen wurde ihm dann zwei

Tage später nach einer Verlegung ins be-

nachbarte Güsten nochmals eindrücklich

vor Augen geführt, denn hier erlebte er,

wie er es später ausdrücken sollte, einen

„rabenschwarzen Tag“. Die US-Armee

habe mit einer solchen Macht angegriffen,

dass eine Gegenwehr überhaupt nicht

möglich gewesen sei. Stattdessen habe die

Wehrmacht viele Tote zu beklagen ge-

habt; allein aus seiner Batterie seien bei

dieser Gelegenheit 18 Soldaten ums Le-

ben gekommen. „Drei Worte sagen alles:

Ich lebe noch! Mehr brauche ich nicht zu

schreiben. Glück muss man als Soldat

eben haben, und ich habe mehrmals

riesiges Schwein gehabt“, schrieb er drei

Tage nach diesem dramatischen Erlebnis

an seinen Vater. Nach den Ereignissen

der Tage um den 25. Februar, dem

„Kampf um Jülich“, so Günther Roos rück­

blickend, sei auch ihm klar geworden,

dass die Wehrmacht „militärisch am

Ende“ gewesen sei. Die „Hoffnungslosig-

1945: „Man muss schon fanatisch sein, und das bin ich ja, Gott sei Dank.“

256