so wäre das für mich nur der Beweis für Deine geistige Unzu-
länglichkeit; denn frage mal einen der Freiwilligen, wie er heute
über seine Meldung denkt.“
Zwar sorgte sich Günther stets um Wohlergehen und Ge-
sundheit des Bruders und hoffte inständig auf dessen baldige
Rückkehr, Gustavs drastische und desillusionierende Schilde-
rungen des Alltags an der Front und die damit verknüpften
Warnungen verfingen bei ihm aber offenbar kaum. Der Kriegs-
einsatz erschien ihm weiter als Ziel aller Dinge, und
mit jeder Sondermeldung steigerte sich deshalb Gün-
thers Ärger über die erzwungene eigene Untätigkeit
an der „Heimatfront“: „Nicht wegen der herrlichen
Siege, sondern weil jetzt ein historischer Kampf
stattfand, der die Welt für die nächsten 1 000 Jahre
veränderte. Und ich war zu jung, um aktiv an diesem
weltveränderndem Kampf teilzunehmen“, erinnerte
er sich 50 Jahre später an seine damaligen Gedanken.
Die NS-Propaganda und die Briefe des Vaters aus der
Ukraine wirkten offenbar weitaus stärker als die
Mahnungen des Bruders.
Günther Roos war zu diesem Zeitpunkt endgültig
auf die „Überholspur“ jener gewechselt, die bedin-
gungslos nach Macht strebten und die feste Absicht
verfolgten, künftig einen hochrangigen Posten im
NS-Staat zu bekleiden. Seine Karriere als Jungvolk-
führer hatte ihn sozusagen „auf den Geschmack“ ge-
bracht, wobei die Kriegsereignisse seinen Aufstieg er-
heblich beschleunigten. Hatte er am 23. August noch
in sein Tagebuch notiert, dass er in einem halben Jahr
das Fähnlein in Brühl-Pingsdorf übernehmen werde,
hatte sich die Situation bereits drei Wochen später
grundlegend gewandelt. Durch die hohe Zahl neuer
Einberufungen zur Wehrmacht wurden im Jungvolk
immer mehr hohe Führerstellen frei. Als am 15. Sep-
tember der bisherige Fähnleinführer, Günthers Be-
kannter und späterer guter Freund Manfred Mam-
mel, zum Jungstammführer befördert wurde, rückte
Günther unerwartet schnell auf dessen Position auf.
„Endlich bin ich so weit, das grün-weiße Schnürchen
zu tragen“, heißt es hierzu voller Stolz im Tagebuch.
Nach der offiziellen Übergabe des Fähnleins in An-
wesenheit des Bannführers fünf Tage später ergänzte er: „Jetzt
bin ich mein eigener Herr, endlich!“
Noch Jahrzehnte später erinnerte er sich sehr genau an das
damalige Hochgefühl: „Ich war jetzt Fähnleinführer des Fähn-
leins Pingsdorf. Mir unterstanden etwa 100 Jungen, d. h. sämtli-
che Jungen zwischen 10 und 14 Jahren. Als Fähnleinführer war
ich weitgehend selbstständig in der Gestaltung der Dienstpläne
im Rahmen der bestehenden allgemeinen Anweisungen. Mit ei-
nemWort: Ich war jetzt wer!“ Und das konnte umgehend in aller
Öffentlichkeit demonstriert werden. Als Ende September 1941 der
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Kommentar des älteren Günther Roos zu diesem
Bild: „Das Fähnlein ist auf dem Feuerwehrhof
zum Appell angetreten. Links mit erhobenem
Arm steht Manfred Mammel, daneben – leicht
nach rückwärts schauend – stehe ich.“
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Günther Roos (vorn) als Fähnleinführer:
„Einer von vielen Aufmärschen. Ich marschiere an
der Spitze meines Fähnleins aus Pingsdorf über
den Brühler Marktplatz.“
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1941: „Ein neues, starkes Volk wächst heran. Und ich bin dabei!“
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