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Günther Roos
im Juni 1954
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mals, „nach und nach erkennen“ müssen, „dass der Nationalso
zialismus ein verbrecherisches System gewesen“ sei, das seine
jugendliche Begeisterungsfähigkeit und seinen damaligen Idea
lismus „schändlich missbraucht“ habe. „Diese Erkenntnis war
schmerzlich, war aber Voraussetzung zur Wandlung. Und so
entwickelte ich mich nach und nach zu einem liberalen Demo
kraten und zu einem überzeugten Pazifisten. Wie ist heute mei
ne Einstellung zu dieser Vergangenheit, die doch so nachhaltig
meine Jugend geprägt hat? Sie ist unterschiedlich. Da ist einmal
der politische Aspekt. Bei der Verarbeitung meiner Tagebücher
oder bei Filmberichten über den Nazistaat bewegen sich meine
Gefühle zwischen Scham, Unverständnis und Grauen. Etwas
zwiespältiger sind meine Empfindungen, wenn ich Berichte
über die Wehrmacht sehe. Da sind die Erkenntnis und das Be
wusstsein über die Grausamkeit und Sinnlosigkeit eines Krie
ges. Auf der anderen Seite muss ich gestehen, dass trotz meiner
pazifistischen Grundeinstellung und entgegen aller Vernunft
mein Puls z. B. bei dem Anblick einer Parade der alten Wehr
macht um etwa fünf Schläge beschleunigt wird.“ – Günther Roos
blieb bis zum Schluss ehrlich, auch wenn ihm das angesichts
dessen, was er zwischen 1933 und 1945 gedacht, getan und im Ta
gebuch geschrieben hat, nicht immer leichtfiel.
Nachklang
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