Table of Contents Table of Contents
Previous Page  180 / 300 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 180 / 300 Next Page
Page Background

1942 sollte für Günther Roos ein Jahr gro-

ßer innerer Umbrüche und einer anstren-

genden Suche nach seiner endgültigen

Weltanschauung werden, die durch eine

immer massivere ideologische Indoktri-

nation flankiert wurde. Sein tastendes,

dabei aber zugleich auch immer macht-

hungrigeres und skrupelloseres Agieren

fand deutlichen Niederschlag in seinem

Tagebuch. Der Schrecken, der ihn mehr

als 40 Jahre später beim erneuten Lesen

seiner Tagebücher überkam, galt insbe-

sondere den Eintragungen des Jahres

1942. Wie in der Einleitung bereits er-

wähnt, entschied er sich dennoch trotz

aller Bedenken, seine Aufzeichnungen

ungekürzt zur Verfügung zu stellen, weil

er glaube, so stellte er seiner Transkripti-

on des Jahres 1942 voran, dass durch de-

ren unverfälschte Fassung „viel deutlicher“

werde, „wie ein junger Mensch in einer

Diktatur für deren Ziele eingespannt und

auch korrumpiert“ werde. Diese massiven

Beeinflussungen, die hierzu eingesetzten

Mittel und deren erschreckende Folgen

waren Teil eines Prozesses, der, um ihn

verständlich und nachvollziehbar zu ma-

chen, auch in seiner gesamten komplexen

Abfolge dargestellt werden muss. Inso-

fern stellt die Darstellung des Jahres 1942

so etwas wie den „Höhepunkt“ einer

über mehrere Jahre verlaufenden Ent-

wicklung eines jungen Menschen zum

überzeugten Nationalsozialisten dar, was

sich auch im Umfang dieses Kapitels nie-

derschlägt.

Günther Roos’ Entwicklung lag ganz

auf der Linie und in der Absicht des NS-

Regimes – genauer von Reichsjugendfüh-

rung, Wehrmacht und SS, die allesamt die

männliche deutsche Jugend vor ihrem

Eintritt in den Wehrdienst auf diese Weise

ausgerichtet und ausgebildet sehen woll-

ten. Um diesen Weg, den Günther Roos

im Lauf des Jahres 1942 ging, besser nach-

vollziehen und die regimeseitig inten-

dierten Ziele verstehen zu können, sollen

an dieser Stelle in einem Exkurs Aufbau

und Durchführung der HJ-Wehrerziehung

während des Krieges skizziert werden,

⁷⁶

ehe dann wieder der Geschichte des Pro­

tagonisten dieses Buches gefolgt wird.

Die Wehrerziehung

der Hitlerjugend im Krieg

Mit Beginn des Krieges wurde die Wehrertüchtigung

in Jungvolk und HJ nochmals intensiviert. So wurde

für die 16- bis 18-jährigen Hitlerjungen im Oktober

1939 eine zwölfmonatige Ausbildung im Kleinkaliber­

schießen und Geländedienst im Rahmen des allge­

meinen HJ-Dienstes als Vorbereitung für den Dienst

in der Wehrmacht obligatorisch. Dabei ließ auch die

Reichsjugendführung nun die Maske fallen und

räumte unumwunden ein, dass Ziel und Endzweck

der bisherigen wie der künftigen Erziehung in der

HJ „die Vorbereitung für den Krieg“ sei. Obergebiets­

führer Schlünder als Verantwortlicher der Reichs­

jugendführung für Wehrerziehung machte zugleich

deutlich, dass es der beständige Wechsel und die

wechselseitige Durchdringung von unmittelbar prak­

tischer vormilitärischer Ausbildung und „wehrgeisti­

ger Erziehung“ sei, die beide zusammen erst die

Exkurs

1942: „Macht will ich haben! Alle sollen mich lieben oder fürchten.“

178