Table of Contents Table of Contents
Previous Page  181 / 300 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 181 / 300 Next Page
Page Background

Wehrerziehung der HJ ausmachen würden und in

ihrer Kombination „entscheidend für den Erfolg der

Kriegsausbildung“ seien.

Der HJ-Ideologe Gerhard Bennewitz betonte beson­

ders den zweiten Aspekt der „Politisierung der

Jugend“, die gerade im Krieg „auf jede Weise“ ge­

fordert werden müsse. Es müsse dabei unter allen

Umständen vermieden werden, dass die Jugend­

lichen die „Frage des ‚Warum?‘“ überhaupt stellen

würden. Der angestrebte Verzicht auf jedwede

kritische Nachfrage sei aber kein „Geschenk des

Himmels“, „sondern das Ergebnis einer jahrelangen,

unermüdlichen Arbeit“. Diese aber könne nicht

von der Wehrmacht, sondern müsse lange vorher

von der Hitlerjugend geleistet werden: „Wer nicht als

junger begeisterter Nationalsozialist in die Kaserne

einrückt, wird auch als Soldat nicht brauchbar sein.“

Daher sei es unumgänglich, die Jugendlichen zuvor

ideologisch auszurichten, damit sie dann „mit einer

festen weltanschaulichen Haltung“ in die Wehrmacht

eintreten würden.

Die Forderung nach unbedingter, nicht zu hinter­

fragender Gefolgschaftstreue erwuchs aus der

radikalen Veränderung der Kriegsführung, die nach

Überzeugung der NS-Strategen einen „modernen

Soldaten“ verlangte, der imstande sein müsse, den

Belastungen der Materialschlachten stand- und

beispielsweise „sechs Tage und sechs Nächte im

Trommelfeuer“ auszuhalten, „jede Minute damit rech­

nend, durch eine 30-cm-Granate in Atome zerfetzt

zu werden“.

⁷⁷

Solche Abhärtung habe die „geistige

Wehrerziehung der HJ“ anzustreben, auch, um gegen

die Anfechtungen der feindlichen Propaganda immun

zu machen. Als „stärkste Waffe“ hierbei wurde „die

Liebe zu Adolf Hitler“ ausgemacht und daraus die

Forderung abgeleitet, dass an der „dauernden Er­

haltung dieser Waffe“ alle arbeiten müssten, „die

irgendwo in der Erziehung unserer Jugend stehen“.

Wie bereits am Beispiel Günther Roos veranschau­

licht, zählte auch das deutsche Schulwesen zu jenen

Institutionen, die für die neue Form der Wehrerziehung

verantwortlich zeichneten. Neben der HJ-Zentrale

war – wie der Historiker Michael Buddrus in seiner

Studie zum Thema darlegt – ebenso die deutsche

Unterrichtsverwaltung bestrebt, die Schulen zu

„Dienstleistungsunternehmen zur Ablieferung wehr­

machtstauglicher Rekruten“ umzuformen. Schon

vor Beginn des Krieges hatte sich die von der Schule

ausgehende wehrgeistige Erziehung mit der von

der HJ getragenen vormilitärischen Ausbildung zu

einer vollkommen im Systeminteresse liegenden,

verhängnisvollen Wirkungseinheit ergänzt, der sich

die Jugendlichen kaum entziehen konnten.

[

Ü

58]

Nach Beginn des Krieges mussten Reichsjugend­

führung und Wehrmacht aufgrund des schnell wach­

senden Personalmangels umgehend aktiv werden.

Da die für die wehrpraktische Ausbildung zuständi­

gen Schieß- und Geländewarte der Hitlerjugend

selbst zum größten Teil eingezogen worden waren,

mussten neue Wege beschritten werden, um eine

ausreichende Wehrertüchtigung in den HJ-Einheiten

zu gewährleisten. Daher wurden in Zusammenarbeit

von Reichsjugendführung und Oberkommando des

Heeres ab Winter 1940/41 „Reichsausbildungslager“

der HJ eingerichtet, die einen fundamentalen For­

menwechsel in der Wehrertüchtigung darstellten:

Die Ausbildung fand nun nicht mehr an den Wochen­

enden statt, sondern erstmals in Form dreiwöchiger

kasernierter Lehrgänge, die den Bedarf an Schieß-

und Geländewarten sicherstellen sollten. So wurden

nun die 16- bis 18-Jährigen für entsprechende Füh­

rungsaufgaben ausgebildet, denn immerhin warteten

in den drei ältesten HJ-Jahrgängen mehr als zwei

Millionen Jugendliche auf entsprechende Anleitung.

Die „Auslese“ der nachrückenden Geländewarte

erfolgte in den Bannen und Gebieten, woraufhin diese

dann in den Reichsausbildungslagern von früheren

HJ-Führern ausgebildet wurden, die sich zuvor

bereits im Kriegsdienst „bewährt“ hatten und zu die­

sem Zweck von der Wehrmacht beurlaubt waren.

Nach Durchlaufen dieser Ausbildung sollte der ge­

schulte Führernachwuchs in die HJ-Einheiten zurück­

kehren, um dort dann selbst die Wehrertüchtigung

zu leiten. So wurden diese Lager die formale Spitze

der gesamten vormilitärischen Ausbildung, für deren

bestmöglichen Erfolg jedoch sämtliche Erziehungs­

träger – in erster Linie Schule, Hitlerjugend und

Reichsarbeitsdienst – aufeinander aufbauend agie­

ren sollten. Im Januar 1941 benannte der Vertreter

der Wehrmacht beim Jugendführer des Deutschen

Reichs den wichtigsten Programmpunkt der so

konzipierten Wehrerziehung: Die HJ solle „den Jun­

gen zum Nationalsozialisten erziehen“; mit dieser

„totalen nationalsozialistischen Erziehung“ schaffe

sie „die besten Voraussetzungen für die Heran­

bildung tüchtiger Soldaten“ und erschaffe damit den

„Gesamttypus unserer Jugend“.

Mit dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion

erwuchs der Hitlerjugend im Juni 1941 bei der vor­

militärischen Ausbildung noch eine weitere Aufgabe,

da nun auch der Offiziersnachwuchs der Wehrmacht

aus ihren Reihen ergänzt werden sollte. Dieses Vor­

haben wurde aus Sicht der Wehrmachtsführung

derart gut in die Tat umgesetzt, dass sie dem System

der HJ-Führerausbildung im Sommer 1943 attestierte,

als Stätte nationalsozialistischer Erziehung und

Selbstauslese beste Voraussetzungen für ein neues

Offizierskorps zu schaffen. Und das Heerespersonal­

amt urteilte, „dass Offiziersbewerber, die in der Hitler­

jugend eine Führungsstellung innegehabt hätten, den

höchsten Eignungsgrad aufweisen“ würden.

Dieses aus NS-Sicht positive Ergebnis bestätigte

die Reichsjugendführung in ihren Maßnahmen. Mitte

August 1941 hatte sie einen im Vergleich zu früheren

Versionen vielfach radikalisierten Forderungskatalog

58 Ü Schulische Wehrertüchtigung im Krieg

1942: „Macht will ich haben! Alle sollen mich lieben oder fürchten.“

179

1942

Exkurs