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altersgerechte Streiche auszuhecken.

„War mit Peter Wieland und zwei seiner

Freunde im Lyzeum. Haben alle Türen

zugebunden und danach die Klosett-Türen

ausgehangen. Wir wurden aber gesehen

und mussten fliehen“, heißt es etwa am 18.

Januar, und drei Wochen später: „War

abends mit Reifferscheidt auf der König­

straße. Haben Raketen mit Zeitzündern

vor die Haustüren gelegt und dann ge-

schellt.“

„Klingelmännchen“, Stabilbaukasten

und Brummkreisel: Die kindliche Welt

von Günther Roos schien zu Beginn des

Jahres noch völlig intakt. Zugleich kün-

digten sich aber erste Vorboten puber­

tären Verhaltens an, das sich zumeist an

Älteren orientierte und den noch 14-Jähri-

gen in einen Zwiespalt etwa zwischen sei-

nem gleichaltrigen Spielfreund Kurt

Fröhlich und jenen zunehmend zu Vorbil-

dern werdenden Bekannten unter den

Brühler Jungvolkführern geraten ließ.

Zur Veranschaulichung kann hier folgen-

des kleines Beispiel dienen: Am Oster-

montag besuchte Günther Freund Kurt,

um „unsere gemeinsamen Streiche und

Erlebnisse zu sammeln“. Den Sonntag vor

den Ostertagen hatte er hingegen in ande-

rer Gesellschaft verbracht: „War nachmit-

tags mit Peter Wieland und einigen ande-

ren Jungen bei Backhaus Bier trinken.“

Wenn auch offenbleiben muss, wie in-

tensiv dieser, im Tagebuch übrigens erst-

mals erwähnte Alkoholgenuss ausfiel, so

wird doch deutlich, dass sich Günther

Roos in diesem Zeitraum immer weiter

der Schwelle zum Jugendleben näherte,

ohne dass er sich bereits entscheiden

konnte, ob er sie auch tatsächlich über-

schreiten wollte. Das galt zugleich auch

für den Umgang mit Mädchen. „War

nachmittags mit Lindner in dem Film

‚Im Namen des Volkes‘. Habe im Kino ein

Mädchen kennengelernt. War danach bis

halb acht in der Stadt“, notierte er Ende

Februar 1939 und fügte einen Tag später

hinzu, dass er seine „Bekanntschaft von

gestern“ wiedergetroffen habe. Wieder-

um einen Tag später schaute er mit zwei

Freunden einer Mädchengruppe in den

Räumlichkeiten der Schlossbrauerei heim-

lich beim Turnen zu, um unmittelbar da-

nach das Gelände des Mädchenlyzeums

aufzusuchen, um dort weitere Streiche zu

spielen. „Haben viel gelacht“, lautete das

Resümee dieses Abends.

Rückblickend, so fasste Günther Roos

später seine frühen Erfahrungen mit dem

anderen Geschlecht zusammen, müsse

man feststellen, „dass die Nazizeit eine

ausgesprochen prüde und den Sex ver-

drängende Zeit“ gewesen sei: „Eine Auf-

klärung von berufener Seite fand über-

haupt nicht statt. Meine Mutter machte

einmal sonntags auf dem Weg zur Kirche

einen entsprechenden Anlauf mit der Be-

merkung, dass es keinen Klapperstorch

gebe. Als ich erwiderte, dass ich das wisse,

atmete sie erleichtert auf und meinte,

dann sei ja alles in Ordnung. Auch in der

Schule, im Biologieunterricht, wurde nur

vage drum herumgeredet geredet. Kein

Wunder, dass wir über den Geschlechts-

verkehr, seine Folgen und Gefahren zum

Teil abenteuerliche Vorstellungen hatten.

Um zu erfahren, wie eine Frau aussieht,

gab es nur zwei Möglichkeiten: Da war

einmal der Ausstellungskatalog der Ge-

mälde aus dem Haus der deutschen Kunst

oder im Schwimmbad ein Blick durch

Bohrlöcher zwischen den Umkleidekabi-

nen.“ Oder, wie Günther Mitte Dezember

im Tagebuch notierte: „Bin abends G.

und Anneliese S. nachgeschlichen. Habe

danach gelesen.“

Betrachtet man das bislang Geschil-

derte, drängt sich der Eindruck eines

zeittypischen, großenteils ungetrübten

Alltags eines Heranwachsenden auf der

Schwelle zum Jugendalter auf. So richtig

eine solche Einschätzung einerseits sein

dürfte, so muss andererseits festgestellt

werden, dass sich das Leben des jungen

Günther Roos zu diesem Zeitpunkt gra-

vierend veränderte: Zum einen trat Vater

Toni zum 1. April 1939 eine feste Stelle

bei der Oberbauleitung der „Organisati-

on Todt“ in Trier an. Zwar hatte er Brühl

bereits im Sommer 1938 in Richtung

„Westwall“ verlassen, kehrte aber an Wo-

chenenden häufig zur Familie zurück.

1939: „Es lebe Deutschland!“

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1939