Mit Beginn des Jahres 1939 wurde Günther Roos zum Chronis-
ten seiner Erlebnisse, der sein Tagebuch regelmäßig und gewis-
senhaft führte. Dabei lassen sich Einträge, in denen er knapp
die Tätigkeiten und Erlebnisse des Tages auflistete – für das
Jahr 1939 sind das die weitaus häufigeren –, von jenen viel aus-
führlicheren unterscheiden, bei deren Erstellung er abends
sozusagen innehielt, um über die persönliche oder die politi-
sche Situation zu berichten oder zu reflektieren. Gerade die
letztgenannten Eintragungen ermöglichen es, auch an der inne-
ren Entwicklung des Heranwachsenden teilzuhaben, an seinem
Suchen und Tasten, an seinen Ambitionen und Ängsten, vor
allem aber an seinem zunehmend zielstrebig beschrittenen Weg
in nationalsozialistisch geprägtes Fühlen, Denken und Han-
deln.
Aber auch die kurzen Tageseinträge des Jahres 1939 gewähren
interessante Einblicke in den zunächst kleinstädtisch-beschau
lichen Alltag eines 14-jährigen Gymnasiasten, der im Lauf des
Jahres dann durch verschiedene tief greifende Veränderungen
geprägt wurde. Dabei erlebte Günther das Frühjahr 1939 in einer
eigentümlichen Mischung aus politisch-ideologischer Begeiste-
rung, einem damit überraschenderweise einherge-
henden Desinteresse am Jungvolkdienst, ausgepräg-
tem Lesehunger und der Verspieltheit eines allmäh-
lich in die Lebensphase eines pubertierenden
Jugendlichen herübergleitenden Kindes.
Spiel, Spaß und Abenteuer
Die Sonntage der Wintermonate zum Jahresbeginn
1939 verliefen nach immer gleichem Muster. „Um 1/4
nach zehn bin ich heute in der Kirche gewesen. War
nachmittags nicht raus. Habe gelesen. Abends habe
ich gezeichnet und Aufgaben gemacht“, heißt es
etwa unter dem 15. Januar, und eine Woche später:
„War um 8 Uhr in der Kirche. Habe kommuniziert.
Bin danach in die Bibliothek gegangen. Habe noch
nachmittags das Buch ausgelesen.“ Auch Günthers
Wochenverlauf war jahreszeitlich bedingt ähnlich
strukturiert, wobei neben die nachmittäglichen
Hausaufgaben und das Lesen jener große Bereich trat, der sich
wohl am ehesten mit „Spiel, Spaß und Abenteuer“ umschreiben
lässt. In vielen Punkten war er dabei noch ganz Kind. „Habe
nachmittags auf der Straße mit dem Kreisel gespielt“, notierte er
Ende März, und kurz darauf vermerkte er das Spielen mit sei-
nem Stabilbaukasten.
Mit großer Vorliebe durchstreifte Günther abends allein die
oft verwilderten Gärten in der Nachbarschaft und fertigte später
zu Hause Pläne über diese aus seiner Sicht abenteuerlichen Er-
kundungen an. Er sei sich dabei, so erinnerte sich der begeister-
te Karl-May-Leser später, vorgekommen „wie Winnetou“. Häu-
fig ging er auch mit Freunden auf abendliche Streifzüge, die
dann zumeist dazu genutzt wurden, im Schutz der Dunkelheit
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Wandertag der Schulklasse von
Günther Roos (rechts) am 4. Juli 1939
zur Steinbachtalsperre in der Eifel
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1939: „Es lebe Deutschland!“
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