einmal Weitblick und Entschlossenheit bewiesen hatte.“ Schließ-
lich wählte der so vergötterte Adolf Hitler auch noch eine per-
fekte Inszenierung anlässlich des Waffenstillstands mit Frank-
reich: Die Unterzeichnung des Vertrages wurde nämlich im
symbolträchtigen Eisenbahnwaggon vollzogen, in dem es im
November 1918 zum Friedensschluss gekommen war – nun al-
lerdings mit vertauschten Rollen.
„Fahrrad-Club“ und Pubertät
Günther, da war er sich sicher, lebte in einer Zeit eines großen
historischen Umbruchs zugunsten Deutschlands. Es war für ihn
aber zugleich auch eine Zeit persönlicher Um- und Neuorientie-
rung. Deshalb verabschiedete sich mit dem Ab-
schluss des Waffenstillstands Ende Juni 1940 zu-
nächst auch das Kriegsgeschehen aus seinem Tage-
buch, in dem nun zwei andere, persönlichere
Aspekte in den Mittelpunkt rückten: die ersten in-
tensiveren Kontakte zum weiblichen Geschlecht und
die Tätigkeit im bzw. für das Jungvolk, wobei aus-
bleibende Erfolge auf dem einen Gebiet offenbar das
weiterhin zunehmende Engagement auf dem ande-
ren befeuert zu haben scheinen.
Am 26. Juni war erstmals von einem „Fahrrad-
Club“ die Rede, dem neben Günther drei weitere
Jungen – seine Freunde „Stetz“, Dieter und Hans –
sowie drei Mädchen angehörten. Die sieben Jugend-
lichen trafen sich im Sommer 1940 zunächst un
regelmäßig, ab Oktober dann fast täglich zu heim
lichen gemeinsamen Unternehmungen „unter der
Brücke“ und an anderen verabredeten Orten in der
Brühler Umgebung, um so der Beobachtung und
Kontrolle durch die kleinstädtische Gesellschaft zeitweise zu
entrinnen. Dabei fand Günther schon früh eines der Mädchen
besonders begehrenswert: „Heute habe ich im Schwimmbad das
Schönste gesehen, nämlich Waltraud M.“, vertraute er seinem
Tagebuch am 6. Juli an und fasste einen Entschluss, den er eine
Woche später notierte: „Ich habe es auf Waltraud M. abgesehen.
Das wird einen Kampf mit Stetz geben. Bin gespannt, wer Sieger
bleibt.“ Wiederum fünf Tage später hieß es hierzu voller Ent-
schlossenheit: „Am Mittwoch habe ich gemerkt, dass ich Sieger
im Kampf um Waltraud bin. Stetz hat eine Menge Abfuhren be-
kommen. War ja auch klar.“
Doch was hier so selbstbewusst klingt, war wohl eher eine
Form pubertärer Selbsttäuschung und entsprach keinesfalls
Günthers tatsächlicher Stellung in der Gruppenhierarchie.
50 Jahre später analysierte er seine persönliche Lebenswelt im
Sommer und Herbst 1940 in bemerkenswerter Weise: „Mein All-
tag bestand eigentlich aus vier verschiedenen Bereichen. Da war
einmal der brave Sohn, der zu Hause las, sonntags in die Kirche
ging und mit der Oma ‚Mensch ärgere Dich nicht‘ spielte. Und
da war die zweite Person, die sich im Verhältnis mit Kurt zeigte.
151 /
Die freiwillige Tennis-AG des Brühler
Gymnasiums im Juli 1940. Dieser von
Studienrat Gluck geleiteten AG gehörte
zwar nicht Günther Roos, wohl aber
die übrigen männlichen Angehörigen
des „Fahrrad-Clubs“ an: Hermann M.
(auf dem Stuhl sitzend, 2. v. l.), Hans I.
(vorn links) und Dieter C. (vorn rechts).
152 /
Von Günther Roos verfasstes Gedicht
zum Thema „Liebe“
151
134
1940: „Es ist bald wie im Märchen. Deutschland wird siegen!“